Sandra experimentiert: 1 Monat Zuckerdröhnung nach Anthony William

(Werbung, da Nennung) Eigentlich wollte ich 1 Monat lang auf Zucker verzichten. Zum Glück kam Medical Medium Anthony William in mein Leben und animierte mich zum Gegenexperiment: 1 Monat lang ausschließlich Zucker und Wasser konsumieren. Ich habe diese Art Detox liebevoll meine ganze persönliche Zucker-Wasser-Diät getauft. 

Aber natürlich geht es hier nicht um Industriezucker, denn den hatte ich vorher schon aus meinem Leben verbannt. Nein, der Zucker, der während der 28-Tage-Detox erlaubt ist, kommt ausschließlich aus Obst.

28-Tage-Detox – Was darf man essen, was nicht?

Rohes Obst und Gemüse. That’s it. Ganz einfach. Mit Ausnahme von Kräutertee, ebenso – wer es will und nicht vegan lebt: rohem Honig.

Zucker darf sein, auch in Massen, solange er natürlich ist. Was vor allem vermieden werden soll, ist Fett. Also kein Chia oder andere Samen, keine Nüsse, Hülsenfrüchte, keine Oliven (erst recht kein -Öl, klar), keine Avocados. Und kein Salz … Also all das, wovon ich gesagt hätte: Mit dem wäre eine rohvegane Ernährung gar nicht so schlimm. Aber nein, es geht darum, dass die Leber bei den meisten Menschen durch falsche Ernährung (ja, das betrifft auch die Veganer) viel zu viel Fett aufnehmen muss und irgendwann einfach völlig überlastet ist (auch gesunde Fett sind irgendwann zu viel des Guten).

Durch die 28-Tage-Detox will man der Leber mal eine Pause gönnen, sodass sie nicht mehr nur all ihre Notfall-To-Dos abarbeiten muss, die wir ihr jeden Tag durch ständige fetthaltige Essenzufuhr aufdrängen, sondern sich mal mit längst überfälligen Aufräumarbeiten beschäftigen kann, nämlich dem Entgiften. Wenn die Leber diese verdiente Pause bekommt, kann auch der gesamte Körper aufatmen und sich mit anderen Dingen beschäftigen.

Ja, was kannst du denn da überhaupt noch essen?

Diese Frage habe ich als Veganerin immer wieder gestellt bekommen und musste innerlich drüber lachen, weil die vegane Ernährung so vielseitig ist. Aber nun stellte ich mir diese Frage selber. Ich muss zugeben, dass ich keine dieser Veganerinnen bin, die gerne freiwillig Möhrchen knabbert. Oh nein, rohes, ungewürztes Gemüse ist mein persönlicher Alptraum. Und Salate ohne Öl und ohne was schön Salzig-Fettiges wie z. B. Cashewfeta, Oliven oder gebratene Champignons, das ist auch nicht der Burner. 

Also habe ich mich überwiegend von Obst ernährt.

Ein typischer Detox-Tag

  • Ca. 4 Uhr (meine normale Aufstehzeit): Meist gab es zum Start in den Tag erst mal ganz viel Wasser, gerne mit Zitrone, denn das hilft dem Körper zusätzlich beim Entgiften.
  • Ca. 6 Uhr: Frisch gepresster Selleriesaft: Anthony Williams Heilmittel gegen so gut wie alles, weil darin ganz besondere Salze enthalten sind (die der Körper am besten zu sich nehmen kann, wenn die Selleriestangen in gepresster Form zugeführt werden). Zugegeben: Ich werde kein Freund davon, aber wenn man es als die tägliche nötige Medizin sieht, gehts schon … 
  • Ca. 8 UhrFrisch gepresster Saft: Das war dann schon mal ein Liter oder fast zwei – und ich hab mir die lustigsten Mischungen einverleibt. Die Kinder fanden es schön anzusehen (wurde schnell Regenbogensaft genannt), aber trinken wollte es außer mir keiner. Ein Beispiel: Äpfel mit Ingwer, roter Bete, Kurkuma, Sprossen, Salat, Blaukraut, Brokkoli, Birnen, Granatäpfeln und Möhren. Man kann aber auch weniger experimentelle Varianten wählen, also Äpfel plus Möhren plus Birnen, das ist richtig lecker und süß.
  • Ca. 10 Uhr: Eiszeit – meine liebste Zeit des Tages. Es gab meist Eis aus gefrorenen Erdbeeren, Himbeeren oder Tropenfrüchten mit Blutorangen, Gerstengras, Kurkuma, Vanille, Zimt, Guarana, wilden Blaubeeren und Datteln. Auch davon habe ich gerne Massen vertilgt. 

Den Rest des Tages habe ich mit „Grasen“ verbracht. Anthony sagt, es bringt nichts, den Körper hungern zu lassen – und wenn man wirklich nur Zucker und Wasser zu sich nimmt, dann hat man tatsächlich alle 1,5 bis 2 Stunden Hunger. Deshalb gab es immer mal wieder Obst zwischendurch, entweder getrocknetes oder frisches, zum Mittagessen das Gemüse, was roh für mich nicht ganz so grauslig war, also meist irgendwas mit Tomaten, Paprika und Gurke. Als Gewürz einfach getrocknete Kräuter drauf. 

Manchmal hab ich mich überwunden, abends einen grünen Smoothie zu machen – oder eine Salatsoße – oder mal nen Gemüsesaft. Die Gemüsesäfte (z. B. Gurke pur), das ging ganz gut, aber alle anderen Experimente fand ich kaum genießbar. Doch es wurde mit der Zeit besser. Inzwischen bekomme ich einen super Gazpacho hin, den auch geladene Gäste bereitwillig getrunken haben, und zwar ohne Essig und ohne zugesetztes Salz (in vielem Gemüse ist ja schon Salz drin – wenn man mal ne Weile auf „echtes“ Salz verzichtet, merkt man das auch). 

Rohveganer Detox-Gazpacho à la Sandra

  • 1/2 Gurke
  • 2 rote Paprika
  • 5 Tomaten
  • 2 große Stücke Aloe Vera (optional)
  • 1 Bund frischer Koriander
  • 1/2-1 Bund frische Petersilie
  • 1-3 EL italienische Kräuter
  • 3 Datteln
  • 4 Knoblauchzehen, geschält
  • 2 große Blätter Mangold
  • 1 Stange Sellerie
  • etwas Kurkuma, Pfeffer und Chili

Alle Zutaten im Mixer vermischen. Fertig. Der einzige Unterschied: Dieser essigfreie, salzfreie Gazpacho ist eher grün statt rot. Wenn du nicht gerade detoxt, kannst du natürlich auch nach Belieben nachsalzen.

Auch die Salatdressings wurden irgendwann nicht nur genießbar, sondern sogar richtig lecker. Hier verrate ich dir einen meiner Lieblinge:

Drachenfruchtdressing-Salat

Salat: 1 Schüssel voller

  • frischer junger Spinat oder anderer grüner Salat
  • Cocktailtomaten
  • grüne, kernlose Trauben
  • 1 Bund frischer Koriander

1-Minute-Drachenfrucht-Dressing

  • 2 (Blut-)Orangen, geschält
  • 2 EL Drachenfruchtpulver
  • 1 Knoblauchzehe, geschält
  • 2-3 Datteln, entkernt
  • etwas Chili

Alle Zutaten im Mixer zerkleinern und mit den Salatzutaten vermischen. Superschnell zusammengemixt, salzfrei, fettfrei – und trotzdem total lecker!

Wird man da überhaupt satt?

Oh ja. Gerade das Eis und die Smoothies stopfen ganz schön. Aber auch so ein frischgepresster Saft. Ebenso zu empfehlen: Datteln und Bananen. Und abends war es tatsächlich dann so, dass ich schon ab 19 Uhr gar keinen Hunger mehr hatte und mich völlig voll und zufrieden gefühlt habe.

Hat man da überhaupt genug Energie?

Wenn ich mal die anfänglichen Hardcore-Detox-Tage ausklammere: Ja. Ich hatte an den guten Tagen – und gegen Ende der Detox – viel mehr Energie als sonst. Was vor allem auch daran lag, dass ich mich in den letzten Jahren von der Fruit Fear (Obstpanik) der Experten habe anstecken lassen, die sagen: Ja, „echtes“, frisches Obst kann man immer essen, aber bloß keine Smoothies, keine Säfte oder Trockenfrüchte. Als ob sich das Obst in Gift verwandelt, wenn es flüssig oder getrocknet wird. Und das Argument, dass man ja von Smoothies viel mehr zu sich nimmt, ist auch Quatsch, denn so ein Smoothie stopft unendlich. Da geht gar nix mehr rein danach. 

Vor der Detox konnte man mit mir nach dem Aufstehen Partys feiern, aber am Nachmittag kam das Tief – und es verließ mich nicht mehr, bis ich mit den Kindern ins Bett fiel. Jetzt, da ich den ganzen Tag immer wieder Obst snacke, bleibe ich energiegeladen bis zur Bettzeit

Wenn die Restaurantküche nicht weiter weiß, gibt es für Veganer oft Reis mit gebratenem Gemüse mit sehr viel Fett aus der Kokossoße
Meine Henkersmahlzeit vor Beginn der 28-Tage-Detox: Reis mit gebratenem Gemüse

Zu viel Fruchtzucker macht doch dick!

Nope. Nicht, wenn es natürlicher Fruchtzucker ist. Ich habe in den 28 Tagen 4 Kilo abgenommen, obwohl ich wirklich ununterbrochen gefressen habe. Und bei der Gelegenheit fällt mir ein, dass z. B. Kartoffeln angeblich auch dick machen und deshalb in Verruf geraten sind. Anthony sagt aber, es sind nicht die Kartoffeln, die dick machen, sondern das ganze Fett, das mit ihnen zusammen serviert wird. 

Hattest du Nebenwirkungen von der Detox?

Oh ja. Die ersten ein, zwei Tage waren okay, aber dann ging es richtig rund: Kopfschmerzen, Schwindelgefühle, Konzentrationsschwächen (die teilweise so krass waren, dass ich das Gefühl hatte, keinen einzigen zusammenhängenden Satz mehr äußern zu können), Aggressionen (besonders dann, wenn andere vor meinen Augen respektlos mit Essen umgegangen sind – oder auch allein schon, wenn sie warmes Essen gegessen haben, was ich nicht durfte), bleierne Müdigkeit, und zwar gleich nach dem Aufstehen, die den ganzen Tag über anhielt, ein (mildes) Aufflammen alter Symptome (z. B. Ohrenschmerzen, die mich in der Kindheit verfolgt haben) und alle möglichen Gliederschmerzen, aber ebenfalls sehr mild.

Diese Symptome waren am schlimmsten in der zweiten Hälfte von Woche 1 und dann wieder in der Mitte von Woche 2. Danach haben sie mich zum Glück verlassen.

Konventionelles Eis im Restaurant mit Früchten: sieht gut aus, aber viel zu süß
Eis im Restaurant mit Industriezucker: Kann ich nicht mehr essen – viel zu süß

Welche Symptome haben sich verbessert?

Grundsätzlich hatte ich den Eindruck, fast schon die Dankbarkeit meines eigenen Körpers spüren zu können, ebenso konnte ich fast schon fühlen, wenn irgendwelche Gifte meinen Körper verließen. Ich fühlte mich so viel frischer, fast schon innerlich und äußerlich gereinigt, generalüberholt, neugeboren.

Gegen Ende der ersten Woche habe ich festgestellt, dass sich einige Falten, die mich jahrelang begleitet hatten, verschwunden sind. 

In der zweiten Woche hat sich meine Nachtblindheit verflüchtigt. Wieder so eine „Krankheit“, mit der ich dachte, für immer leben zu müssen (seit einer LASEK-OP vor vielen Jahren). Und plötzlich stellte ich fest, dass mein vampirisches Verhalten nachließ (was dem Vampir die Sonne war mir das Scheinwerferlicht entgegenkommender Autos). Plötzlich brauche ich nicht mehr panisch den eigenen Fahrbahnrand fokussieren, bis das andere Auto vorbeigefahren ist, sondern konnte sogar das Nummernschild lesen, ohne dass es blendete!

Ich weiß nicht, ob es nur mir auffällt, aber ich sehe in letzter Zeit verdammt viele Frauen mit Schweißflecken unter den Achseln. Damit hatte ich nie Probleme. Bis vor 2 Jahren. Es wurde besonders schlimm, wenn ich zu irgendwelchen Events musste, da war ständiges Klamottenwechseln angesagt. Ich hab die Schuld erst auf meine Deocremes geschoben, denn ich dachte, dass die am Anfang funktioniert hatten (und geruchstechnisch auch noch wunderbar funktionierten), aber dass sie irgendwann die Poren verstopften. Doch dann las ich bei Anthony, dass das auch ein Zeichen des Epstein-Barr-Virus sein kann (der bei so vielen von uns die unterschiedlichsten Probleme verursacht), denn in einem fortgeschrittenen Stadium greift er irgendwann das Nervensystem an und suggeriert dem Körper, Anzeichen für Aufregung zu zeigen, auch wenn der Mensch selbst nicht aufgeregt ist. That was me. Und siehe da: Auch dieses Problem verschwand, irgendwann zwischen Woche 2 und 3 – ich habe es bei einer Veranstaltung getestet. 😉

Was meine Gesichtsblindheit angeht, hatte ich auch so meinen Verdacht, denn ich wusste sowohl von verschiedenen Viren in meinem Körper, die außer Kontrolle geraten waren, was sich immer wieder an diversen Symptomen gezeigt hatte, als auch von Schwermetallbelastung im Körper (sowas überträgt sich übrigens von Generation zu Generation, also wenn z. B. der Uropa in einem Bergwerk gearbeitet hat und dort irgendwelchen fiesen Gesundheitsgefahren ausgesetzt war, dann kriegen das unsere Kinder auch ab, wenn wir nichts dagegen machen, egal, wie sanft die Geburt und wie gesund die Ernährung der Kinder ist). 

Ich dachte mir dann: Wenn da einiges weggeht, vielleicht werden dann auch wieder irgendwelche Nervenbahnen frei, die vorher blockiert waren und das Wiedererkennen von anderen Menschen erschweren. In Woche 2 eine typische Situation: Eine Frau, die mich mit diesem Ich-kenn-dich-warum-grüßt-du-mich-nicht-Blick ansah. Normalerweise sind die Menschen längst weg, wenn ich sie irgendwann zuordnen kann, sofern mir das überhaupt gelingt. In dem Fall hatte ich es nach wenigen Minuten raus, konnte auf die Frau zugehen und mich entschuldigen dafür, dass ich sie nicht gleich erkannt hatte.

Das Highlight war aber dann mein Supermarktbesuch gegen Ende von Woche 4. Gleich 3 Menschen in Folge konnte ich dort zuordnen, obwohl keiner davon in seinem gewohnten (und für mich gut einzuordnenden) Umfeld unterwegs war. Es ist noch etwas früh, definitive Aussagen zu machen, aber ich halte es durchaus für möglich, dass man mit der richtigen Ernährung bzw. der richtigen Detox etwas gegen die bisher als unheilbar eingestufte Gesichtsblindheit machen kann. Ich freue mich auf entsprechende Forschungen und Erfahrungsberichte anderer Betroffener!

Was hat sich für dich verändert?

Für mich war das Ganze lebensverändernd. Parallel zur Detox habe ich alle 4 Bücher von Anthony William gelesen (übers Essen generell, über die Leber, die Schilddrüse und das allgemeine über alle möglichen Krankheiten) und mich bzw. auch mein Umfeld in vielem wiedererkannt. Ich hatte ständig „medizinische Erleuchtungen“, wo mir klar wurde, was mir oder anderen fehlt. Zum Beispiel konnte ich gleich zu Anfang einen Zink-Jod-Mangel bei mir feststellen, der sich in Wochen andauernden Nagelbettentzündungen geäußert hat. Das ging dann ganz schnell weg, weil ich wusste, was ich dagegen tun musste. 

Ich habe angefangen, viel bewusster zu essen, also nicht einfach unbewusst die Reste der Kinder in mich reinzuschaufeln – oder während des Essens zu multitasken bis zum Umfallen, sondern ich habe mir Zeit genommen für das Essen, weil es für mich so ein wichtiger Vorgang wurde, dass ich nicht auch noch andere Sachen hätte parallel machen wollen. 

Gleichzeitig nahm die Wichtigkeit von Essen generell ab. Die ganzen Jahre vorher war ich regelrecht besessen gewesen vom Essen und vom Kochen (obwohl ich keinen Spaß daran hatte). Irgendwann während der 28-Tage-Detox war es für mich völlig okay und selbstverständlich, einfach nichts Spektakuläres zu essen, schließlich ist die Nahrungsaufnahme nicht das Wichtigste der Welt, zumindest dann nicht, wenn es eher um eine Art kulinarische Lustbefriedigung geht, die dann entsteht, wenn der Körper nicht das Richtige bekommt (so entstehen übrigens auch sämtliche Arten von Süchten, sagt Anthony – weil der Körper nach richtigem, echtem, natürlichen Fruchtzucker giert, der Mensch ihm den aber nicht gibt. Der Körper hört nicht auf, entsprechende Hilferufe zu senden – und der Mensch deutet sie falsch und ertränkt die Signale in Kaffee, Nikotin, Alkohol oder was auch immer). 

Irgendwann kam dann Dankbarkeit dazu. Dankbarkeit für das Privileg, jeden Tag die Chance zu haben, die tollsten Lebensmittel essen zu dürfen – und dann auch noch (bis auf 28 Tage des Lebens) warm und mit den feinsten Gewürzen. Dankbarkeit auch für die Menschen, die sich darum kümmern, dass diese wunderbaren Lebensmittel bei mir landen dürfen. Vom Bauern über die Arbeiter, die Logistikunternehmen bis hin zu den Bioladenmitarbeitern. Und natürlich Dankbarkeit für die Natur selbst, dass sie uns all ihre Wunder zur Verfügung stellt, damit wir sie nutzen und daran genesen dürfen. 

Gegen Ende wurde das Ganze dann zu einer regelrechten Faszination. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich einen Kohl aufgeschnitten (das musste früher immer mein Mann machen, warum auch immer – Neophobie?) und ich war so begeistert. Was für ein wundervolles Muster in diesem Stück Leben, das die Sonne und die Natur zu dem gemacht haben, was es letztendlich geworden ist. Das sind so die Momente, wo ich glatt von Wundern Gottes sprechen könnte, wenn ich das Wort Gott nicht generell meiden würde. 😉 

Aufgeschnittener Rotkohl, ein kleines Wunder der Natur
Rotkohl: Ist es nicht ein Wunder, dass die Natur ganz selbstverständlich solche Muster malt?

Wie sieht eine gesunde Ernährung nach Anthony William aus?

Die meisten Dinge, die verboten sind, gab es bei mir ohnehin schon lange nicht mehr: Nicht-Bio-Produkte, Fleisch (besonders schlimm: Schweinefleisch; inklusive Fisch und Geflügel), Milchprodukte, Eier, Industriezucker oder künstliche Süßstoffe.

Aber es gab auch noch genug, worauf ich plötzlich verzichten musste. Neben (für den einen Monat, aber glücklicherweise nicht dauerhaft verbotenem) warmem Essen generell fehlten mir die verarbeiteten Lebensmittel (einfach mal schnell ne Pizza in den Ofen oder paar Knödel in den Topf). Und erst jetzt wurde mir bewusst, wie viele ungünstige Stoffe (neben dem allgegenwärtigen Zucker)  auch in Bioprodukten stecken können. Das harmlos klingende Kunstprodukt Zitronensäure zum Beispiel – oder Geschmacksverstärker wie Glutamat / Hefeextrakt. Und sowas wie natürliches Aroma hab ich auch schon noch in manchen Produkten gefunden, die es bei uns zu Hause gibt (zum Beispiel im Lieblingskäse, der leider nicht bio verfügbar ist).

Grundsätzlich vermeiden sollte man auch RapsölEssig sowie Gluten (zumindest Weizen), Mais und Soja.

Nach den 28 Tagen: Wie geht es mit deiner Ernährung nun weiter?

Wie oben erwähnt, habe ich nun ein ganz anderes Bedürfnis nach Frische. Ich brauche zu jeder Mahlzeit etwas Frisches – und wenn es nur ein paar Kräuter sind, sonst erfüllt es mich nicht. 

Außerdem habe ich eine ganz andere Wahrnehmung, was Frische angeht. Die ganze Zeit konnte ich z. B. gut Zitronensaft aus der Flasche nutzen. Jetzt schmeckt „Flaschensaft“ für mich völlig abgestanden. Ich brauche die frische Zitrone, die ich auspressen kann, alles andere fühlt sich an wie eine schlechte Kopie des Originals. 

Mir wurde zudem bewusst, dass ich viel zu fettig gekocht habe. Zwar habe ich nichts gegen die ein oder anderen gebratenen Pilze, aber vieles von dem Gemüse, das ich vorher halb tot gebraten habe, lässt sich viel besser dampfgaren oder backen, um die Vitamine zu erhalten. 

Da ich mehr oder weniger Anthonys Protokoll befolgen möchte, fliegen so gut wie alle gekauften Produkte raus aus meinen heimischen Regalen. Fast überall befindet sich etwas drin, das nicht förderlich ist für die Gesundheit. Meine Lieblingsmajo ist aus Rapsöl, viele Aufstriche oder auch Süßes ohne Industriezucker enthält den laut Anthony ebenfalls nicht gesundheitsförderlichen Agavendicksaft (Ahornsirup, Süße aus Datteln, Kokos und Bananen ist das, womit der Körper gut klarkommt) und von den ganzen gängigen Fertigprodukten brauchen wir gar nicht zu reden. Wenn sie nicht bedenkliche Stoffe enthalten, dann zumindest entweder ungesundes Fett – oder zu viel davon (gilt auch für meine Lieblings-Dattel-Kugeln, aber zum Glück gibts die auch in der puren Variante ohne Fett. Stichwort Fett: Wer braten will, sollte das mit Kokosöl tun, empfiehlt Anthony, und ansonsten verweist er überwiegend auf Olivenöl). 

Das alles heißt für mich also, dass ich wesentlich mehr selbst machen – und natürlich nach alternativen Newcomern Ausschau halten muss (z. B. das glutenfreie Zeugs, was es zu kaufen gibt, ist auch voll mit Zutaten, die ich meiden würde, ob es nun Mais ist, Industriezucker oder gängige Zusatzstoffe). Zum Glück gibt es immer mehr, die den Trend erkennen und in die richtige Richtung gehen. 

Aber das Selbermachen ist für mich auch nicht mehr so das Problem wie vorher. Ich glaube, ich werde mir da künftig viel lieber gern die Zeit für die Zubereitung von ordentlichem Essen nehmen, weil es mir so wichtig ist – und weil es so viel mit einem macht, wenn man die Verbindung erkennen kann, die zwischen dem Essen und einem selbst entstehen kann.

Und wieso erzählst du uns jetzt all das auf deinem Kinderbuchblog? Was hat das mit Kindern zu tun?

Weil ich mich als Mutter verantwortlich fühle für meine Kinder und für sie gesundheitlich nur das Beste möchte. Das war natürlich auch schon vorher so, aber durch Anthony ist mir aufgefallen, wie viel Luft nach oben ich noch habe. Bei meiner Familie merke ich bereits jetzt, wie sich das Essverhalten ändert – und wie es allen dadurch so viel besser geht als vorher. 

Entscheidend finde ich – wie bei der Umstellung auf vegan – zwei Dinge: 

  • Kein Zwang. Klar kann ich verstehen, wenn man all das erfährt und demzufolge nicht nur selbst detoxen, sondern auch die diversen Gifte aus seinen Kindern heraushaben möchte, und zwar so schnell wie möglich. Aber: Man möchte ja, dass die Kinder gerne und bereitwillig diese Veränderung im Familienleben mitgehen. Deshalb würde ich ein Kind nie zu dieser radikalen (wenn auch nur 28 Tage dauernden) Umstellung zwingen, sondern allenfalls immer wieder zum Probieren ermutigen. (Kochen für die Familie und nicht mal probieren zu dürfen, klar, das ist anfangs extrem hart, aber das lässt schon nach wenigen Tagen nach, also habt keine Angst davor!) Nach der Detox habe ich versucht, Alternativen für bei uns gängige, aber nicht gesunde Nahrungsmittel zu finden. Werden die Alternativen nicht angenommen, stelle ich die alten noch zur Verfügung, aber nicht in Massen, wie früher – und vor allem, ohne selbst davon zu essen. Das wird wahrgenommen, ganz sicher!
  • Veränderung bewusst (vor)leben: Wie bei der Umstellung auf vegan gilt: Wenn das, was es als neue Alternative gibt, lecker ist, wird keiner meckern, egal ob familienintern oder Besuch. Ich versuche, meinem Umfeld meine Veränderung vorzuleben, ohne in die Bewertung der anderen zu gehen oder zu belehren. Klar erzähle ich gerne von der Detox und was sie mit mir gemacht hat, aber ich mag niemanden dazu überreden, es mir gleichzutun, weil die wenigsten dazu bereit sind. Wie eine Freundin sagte: „Der Großteil der Bevölkerung würde diese Detox nicht durchhalten.“ Muss er übrigens auch nicht – es gibt in Anthonys diversen Büchern auch abgeschwächte Varianten. Und bei dieser Detox kann man z. B. auch das Salz, die Nüsse, Hülsenfrüchte, Samen und Avocados in geringeren Mengen mit reinnehmen, wenn es einem sonst zu viel wird. Wie immer: Es gibt für alles einen Weg und ich helfe anderen gern, meinen noch nicht ganz so dichtbevölkerten, semigeheimen Trampelpfad zu entdecken, aber den Mut und die Ausdauer, ihn zu gehen, muss jeder allein haben. Wie sieht es bei dir aus? Bist du bereit?

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Waldorfschule Teil 4: Waldorfpädagogik – darum sind wir anders

Die Waldorfschule öffnet jedem Kind seine ganz eigene, individuelle Tür.

(Werbung, da Nennung) „Sie lachen über mich, weil ich anders bin. Ich lache über sie, denn sie sind alle gleich.“
Dieses Zitat (egal, ob es nun Kurt Cobain oder Jonathan Davis zuerst gesagt hat) begleitete mich auf dem Heimweg vom ersten Impulsvortrag meiner Waldorfschule. Es passte so gut. Dass das Bildungssystem nicht funktioniert, ist den meisten klar. Aber warum nicht? Ich fasse für euch den vor einiger Zeit gehörten Vortrag zusammen.

Tür zu hübschem Häuschen
Um sich zu entfalten, braucht jedes Kind eine ganz individuelle Tür. Die gibts maßangefertigt in der Waldorfschule (Foto: Georgia de Lotz, Unsplash)

Junge Menschen verblöden immer mehr

Laut einer Studie von 2018, die über die letzten 8 Jahre von der Uni Bonn durchgeführt wurde, können die Studierenden immer weniger. Es ist ein Katalog an Defiziten, der die Uni-Absolventen kennzeichnet. Was können sie aber denn nun gut, die Studis von heute? Auswendig gelernte Inhalte runterbeten, das geht ohne Probleme. Aber eigenständiges Denken? Fehlanzeige!

Solche polarisierenden Aussagen finde ich immer schwierig, zumal man ja für alles, was man belegen möchte, Beweise finden kann. Dennoch: Wenn man sich umhört, scheinen die Aussagen der Wissenschaftler einen Nerv zu treffen: Ich spreche öfter mal mit Regelschullehrern. Und genau das ist der Tenor, genau darüber wird immer wieder lamentiert.

Aber woher kommt diese tatsächliche oder vermutete Verblödung? Es gibt sicherlich viele Faktoren. Beim Vortrag wurde ein bestimmter Aspekt beleuchtet, und zwar: die Leistungsgesellschaft trägt die Schuld.

Ich war nie gut genug. Jetzt will ich wenigstens dafür sorgen, dass es meinen Kindern nicht auch so geht

Aus einem Mangelgefühl heraus beginnen die Erwachsenen schon bei den Allerkleinsten mit der Bildung. Was Hänschen nicht lernt … ihr wisst schon.

Und man könnte ja meinen, dass das funktioniert. Aber wenn man der Studie Glauben schenkt, ist das Gegenteil der Fall. Das angstbasierte Lernen führt zu einer Art Abwehrreaktion: Der Intellekt wäre zwar in der Lage, die Inhalte zu verinnerlichen, aber der Wille dazu fehlt.

Mädchen hat Angst, Gesicht im Profil
Funktioniert gar nicht: Angstbasiertes Lernen (Foto: Alexander Krivitskiy, Unsplash)

Steiners Ansatz: Der Intellekt ist nicht alles

Wie es besser geht? Steiner sagte: Bis zum Ende der 8. Klasse sollte das Denken zweitrangig sein. Was natürlich nicht heißt, dass die Waldorfschüler Vollidioten sind, weil man ihnen das Denken verbietet. Nein, es heißt lediglich, dass der Intellekt sich auf natürlichem Wege entwickeln kann, ohne dass er sich verbiegen muss, um sich Inhalte einzuverleiben, für die das Kind noch gar nicht bereit ist.

Vor allem impliziert das Denken ja in der Regel auch das Kategorisieren und damit das (Ver-)Urteilen. Oder aber das Sich-beeinflussen-Lassen von den Menschen, die einen im Denken schulen. Da werden dann mit dem Denken auch die entsprechenden Urteile übernommen, doch gerade das Freisein von Schubladendenken möchte Steiner so lange wie möglich erhalten. Wer urteils- und wertfrei handelt, ist offen und lebensbejahend.

Wichtiger als das Abstrahieren ist der Zugang zu den Künsten bzw. das Erleben der Welt mit allen Sinnen. Wird zum Beispiel die Welt der Musik in jungen Jahren nicht erschlossen, kann der Mensch diese Tiefe und diese Art, die Welt wahrzunehmen, nicht mehr erschließen.

Waldorfpädagogik: Den Menschen als Dreiklang wahrnehmen

Ab der 9. Klasse ändert sich der Fokus weg vom Denken dann schlagartig, aber bis dahin läuft es anders als in der Regelschule, denn die Waldorfschule sieht von Anfang an den kompletten Menschen. Sie betrachtet ihn aus ganzheitlicher Perspektive, versteht die Entwicklung des Menschen als Dreiklang, nämlich als ein Zusammenspiel aus Intellekt, Gefühl und Wille. Diese drei Komponenten werden als gleichermaßen wichtig angesehen. Somit wird schon früh die Empathiefähigkeit geschult. Nein, falsch, beibehalten, im Gegensatz zum Ansatz in der Regelschule, denn dort wird sie zuweilen, wie wir gesehen haben, vom ersten Tag an abtrainiert, um den Ansprüchen der Leistungsgesellschaft zu genügen.

Bedürfnisorientiert erziehen ist was für Angsthasen?

Wie ist das mit dem Willen? In unserer antiautoritären Welt, in der wir gerade leben, neigen wir dazu, die Kinder zu überfordern, dadurch, dass wir ihnen zu viele Freiheiten lassen. Es ist okay zu fragen, ob das Kind ein Schokoeis oder ein Erdbeereis will, aber dass wir überhaupt in die Eisdiele gehen, das sollte der Erwachsene entscheiden. Und zwar nicht mit Hilfe einer gewaltgeprägten Autorität, sondern mit Hilfe einer liebevoll-entschlossenen, einer Autorität, die den Kindern sagt: So, da gehts lang!

In dem Moment, als der Mann das sagte, habe ich förmlich den Aufschrei aus der Welt der bedürfnisorientierten Erziehung gehört. Aber ich kann nachvollziehen, wie es gemeint ist: Liebevoll zu führen, heißt nicht zu zwingen, sondern die Richtung zu weisen. Die sich dann später ändern kann, wenn das Ganze auf Augenhöhe gemeinsam beschlossen wird.

Drei Rosen
Drei Komponenten werden in der Waldorfschule gleichermaßen gefördert: Intellekt, Wille und Gefühl (Foto: Jess Watters, Unsplash)

Die Kinder wünschen sich Strenge

Ich hatte hier schon öfter den Fall, dass Mini und Maxi etwas Bestimmtes wirklich nicht machen wollten. Zum Beispiel innerhalb von 2 Tagen die Tube einer kompletten Zahnpasta verschwinden zu lassen. Sie wollten es nicht tun, aber es war so verlockend, den Inhalt da rauszudrücken und wohin auch immer hineinzustopfen. Und ich mit meiner anti-adultistischen Haltung habe sie mit meinem Vertrauen in sie komplett überfordert. Immer wieder stellte ich ihnen hoffnungsvoll eine neue Tube hin und immer wieder war sie in kürzester Zeit leer.

Meine Mädels wollten dieses Vertrauen in sie gar nicht, sondern sagten mir: „Mama, du musst die Zahnpasta verstecken und darfst uns nicht sagen, wo sie ist!“ Mit anderen Worten: „Mama, du musst auf eine liebevolle Weise streng zu uns sein, um uns und damit auch dir selber Halt zu geben.“

Rate ich jetzt plötzlich von einer bedürfnisorientierten Erziehung ab? Nein, aber ich stimme mit dem Referenten in Folgendem überein: Ich rate davon ab, diese Art von Erziehung vorzuschieben, aus Angst davor, selbst Entscheidungen zu treffen. Die Kinder brauchen jemanden, der ihnen Halt gibt.

Aber Halt bekommt man nicht dadurch, dass man zu früh zu viel Freiheit spüren darf, dann voller Tatendrang und gleichzeitig randvoll mit Unsicherheit auf den nächstbesten Felsen klettert und schließlich abstürzt. Den Kindern Halt zu geben heißt, mit ihnen gemeinsam klettern zu gehen. Wenn das Kind nicht mitmachen will, okay, kein Problem. Es kommt der Tag, an dem es dazu bereit sein wird.

Wenn es aber klettern möchte, heißt Halt geben, da zu sein. Traut sich das Kind auf den Felsen, steht der Erwachsene mit einer liebevollen, fast unsichtbaren Sicherung im Hintergrund. Bei einer solchen Basis ist auch ein kurzer Absturz kein Problem, denn das Seil, die sichere Bindung, hält.

Auch mal wieder: Handeln aus Liebe statt aus Angst

Ich verstehe sehr gut, wie sie gemeint ist, diese etwas andere Erziehung in der Waldorfschule. An der Regelschule wird Lernen erzwungen durch das Schüren von Angst („Wenn du deine Hausaufgaben nicht machst, schreibst du schlechte Noten. Und mit schlechten Noten kann nichts aus dir werden.“), den Einsatz von Strafen („Wenn du das noch einmal machst, dann …“) und das Fördern von Ehrgeiz („Nimm dir mal ein Beispiel an deinem Vorgänger. Er ist viel schneller gerannt als du. Hör auf, die Blumen neben dem Sportfeld zu betrachten, und beweg deinen Hintern, sonst bleibst du immer der Schlechteste im Sport!“).

In der Waldorfschule hingegen wird das Lernen ermutigt durch Liebe.
Natürlich kommt auch dort mal das Thema auf, wer der Größte, der Beste oder der Tollste ist. Wie der Lehrer darauf geantwortet hat, wenn sich seine Schüler darüber den Kopf zerbrachen? „Ich glaube nicht, dass es einen Besten hier gibt. Der eine kann dies gut, der andere das. Aber einen Besten gibt es nicht. Außer vielleicht denjenigen, der seinen Mitschülern mit dem größten Maß an Liebe begegnet. Das wäre in meinen Augen der Beste, wenn ihr denn unbedingt einen braucht.“

Nach der Waldorfschule: Verlorene Kinder ohne Sinn für Realität?

Ja, kommen denn die Kinder dann da aus der Waldorfschule raus, sind völlig weltfremd und schweben auf einer Wolke aus Liebe, die in der wahren Welt nicht existiert? Das ist eins der häufigsten Vorurteile, das ich im Bezug auf die Waldorfschule höre.

Die Wahrheit ist, dass die Kinder sehr wohl wissen, wie es in der Welt zugeht. Sie sind sich bewusst, dass da draußen ganz viel mit dem Einsatz der Ellbogen erreicht wird. Doch sie selbst machen es anders. Nicht weil sie es nicht könnten, sondern weil sie es nicht nötig haben, denn sie haben liebevolle Führung gelernt, wie sie sie im Optimalfall jahrelang erlebt und später auch selbst erprobt haben. Das ist auch der Grund, weshalb Führungskräfte mit Waldorfabschluss so beliebt sind.

Wütender, angriffslustiger Otter
Auch Waldorflehrer sind mal wütend oder frustriert und reagieren dann nicht angemessen (Foto: Jason Hafso, Unsplash)

Niemals ein lautes Wort in der Waldorfschule?

Ja, und wie ist das denn mit Strafen und Schimpfen? Gibts das auf der Waldorfschule nicht? Doch, das gibts, denn: „Sie werden immer wieder sehen, dass sich Lehrkräfte nicht korrekt verhalten, denn das sind auch nur Menschen, die in jedem Moment das Beste geben, was sie geben können. Manchmal sind sie überfordert und machen Fehler. Aber wichtig ist es, das Konzept und die Einstellung dahinter zu verstehen: Alles, was wir Lehrer wollen, ist, aus Liebe zu handeln, denn nur ein junger Mensch, der Liebe erfährt, kann in seinem ganzen Licht strahlen.“ Okay, ganz so hat er es nicht gesagt, der Referent, aber das war das, was ich zwischen den Zeilen gehört habe.

Wichtig war ihm auch, eins immer wieder zu betonen, was mir ebenfalls wichtig ist: Es geht hier nicht darum, die Menschen hinter der Regelschule zu verurteilen, sondern es geht darum, das System zu verändern, zu zeigen: Schaut, Leute, so kann man es auch machen. So kann man erziehen und gleichzeitig die Persönlichkeit stärken und die Seele wachsen lassen. Nehmt es als Anreiz zu schauen, was davon ihr übernehmen könnt und was davon euch inspiriert, manches anders zu machen als vorher, sofern es in eurer Macht steht. Im Sinne der Kinder. Und im Sinne eines allumfassenden Miteinanders.

Fazit: Nicht das Kind, sondern die Tür muss passen

Der Lehrer hat den Unterschied zwischen Waldorfschule und Regelschule mit einem wunderschönen Bild zusammengefasst: In der Regelschule gibt es eine Tür. Alle müssen durch die gleiche Tür, unabhängig davon, wie groß sie sind. Zu groß? Dann muss man sich halt ein bisschen verbiegen, um hindurchzupassen!
In der Waldorfschule hingegen wird Maß genommen vom Menschen – und dann anhand seiner Größe für ihn ganz allein eine individuelle Tür gefertigt.

Hast du die ersten 3 Teile meiner Reihe schon gelesen? Hier geht es darum, weshalb ich Waldorfschulen für besser als Regelschulen halte, hier zeigt sich das anhand der Einschulung und an dieser Stelle kannst du lesen, welche Beobachtungen ich vor dem Wechsel in die Waldorfschule gemacht habe.

Waldorfschule Teil 3: Die lernen ja gar nix, die spielen nur!

(Werbung, unbezahlt)  

Wie gehts eigentlich zu in einer Waldorfschule? Ich kenne nur diese eine, von der ich glaube, dass Steiner begeistert wäre, weil sie dem entspricht, was er als Vorstellung einer guten Schule im Herzen trug. Für euch habe ich meine allerersten Eindrücke von der Schule festgehalten.

8 Beobachtungen vor dem Wechsel auf eine Waldorfschule. Was ist ähnlich, was ist anders?

„Wenn du zum ersten Mal in eine Waldorfschule kommst, scheint dir das alles so unwirklich. Alles ist fast schon zu schön, um wahr zu sein. Man muss den Verstand erst daran gewöhnen, dass das alles kein Traum ist.“

Punkt 1: (Fast) aus der Vogelperspektive. Mein erster Eindruck vom Außengelände

Die Worte meiner Freundin hallten in meinem Kopf, als wir uns zum ersten Mal auf den Weg zur Waldorfschule unseres Vertrauens machten. Dort war gerade Frühlingsfest. Ein riesiger Garten, in dem alles blühte, lag vor uns. Zwischendrin ein paar Spielgeräte. Das sollte der Pausenhof einer Schule sein? Fühlte sich eher an wie Ankommen im Urlaub!

Das Schulgebäude hatte ich vorher nur von der Straßenseite aus gesehen. Von dort sah es nicht gerade einladend aus. Nun kam ich von hinten und es haute mich um. Ein farbenfrohes Haus, das mich ein wenig an eine mediterrane Villa erinnerte. Ein ehemaliges Weingut, wie ich heute weiß.

Waldorfschule mit Blumenbogen am Schuleingang
Der Eingang zur Schule am Tag von Minis Einschulung

Überall wurde vorbereitet: Es gab Stände mit Selbstgebasteltem, mit handgeschöpften Seifen und Bio-Olivenöl, gegenüber eine Kinderschminkstation, Kaffee, Kuchen, Waffeln, einen Barfußpfad und einige Bastelstände: Origami, eine Ytong-Steinbearbeitungsstation – und eine dritte, an der man Ketten aus Holz anfertigen konnte.

Punkt 2: Herangezoomt. Der Blick ins Klassenzimmer

Unsere Schule ist klein, von daher sind auch die Klassenzimmer klein und schnuckelig, teilweise mit kuscheligem Teppichboden ausgelegt, mit kunstvollen Gemälden an der Tafel – und überhaupt: gemütlich eingerichtet. Sie erinnern mit all den liebevollen Details eher an ein Wohnzimmer als an ein Klassenzimmer.

Punkt 3: Die Lehrer. Handeln auf Augenhöhe statt Adultismus

Dass die Lehrer den Schülern ebenso wie den Eltern auf Augenhöhe begegnen, ist unverkennbar. Da scheint auch privat viel Austausch stattzufinden. Die regelschulübliche Abgrenzung zwischen Beruflichem und Privatem ist nicht erkennbar. Abgesehen davon „schweben“ viele der Lehrer. Anders kann ich es nicht sagen. Auch nach einem Arbeitstag haftet ihnen eine Leichtigkeit und eine positive Energie an, die hochgradig ansteckend ist: Man merkt den Kindern an, dass sie sich wohlfühlen in der Schule und gern dort hingehen.

Außerdem sind die Lehrer aufmerksam. Sie merken sofort, wenn jemand neu da ist. Oft ist es unangenehm, irgendwo neu zu sein, weil man das Gefühl hat, als störender Eindringling wahrgenommen zu werden. Nicht dort.

Einmal wartete ich gerade darauf, dass der Probeunterricht meiner Tochter zu Ende ging. Ein Lehrer, der mich nicht kannte, sprach mich an, wer ich denn sei und was ich da mache. Erstaunlich, diese nette Begrüßung. Schon allein das suggeriert Respekt und Achtung für jeden Menschen.

Punkt 4: Die Schüler. Sehen die Lehrer als Freunde

Ich beobachtete einen Lehrer, der sich mit einer Mutter unterhielt. Plötzlich kamen drei ältere Mädchen und zogen den Lehrer sanft, aber mit viel Gekicher von der Frau weg. Er machte eine entschuldigende Geste in ihre Richtung – und ließ sich mitziehen. Wieder ein Zeichen für die Begegnungen auf Augenhöhe.

Erstaunlich oft sah ich auch Lehrer(innen), die Schülerinnen an der Hand hielten, und Kinder, die auf ihren Lehrern herumkletterten. Ganz natürlich, auf freundschaftlicher Ebene. Sicherheitsabstand kennt man dort nicht.

Aus den Gesichtern der meisten Kinder, die ich dort gesehen habe, las ich Zufriedenheit und verspielte Neugier, ebenso freundlichen Respekt und Achtung für alle anderen, egal, ob Kinder oder Erwachsene.

Auch auffällig: Die Hilfsbereitschaft. Als ich mit einer Mutter über den Schulweg sprach, mischte sich sofort die Tochter ins Gespräch und bot an, meine Kleinen zu begleiten, bis sie sich sicher fühlen. Wenn das hieße, sie müsse länger in der Schule bleiben, sei das gar kein Problem.

Zwei Mädchen lesen und umarmen sich bei Sonnenuntergang
Normal, nicht nur unter Klassenkameradinnen, sondern auch zwischen Lehrern und Schülern: freundschaftliche Umarmungen (Foto: Ben White, Unsplash)

Punkt 5: Die Eltern. Kulturschock? Nein, endlich zu Hause

Ich kannte Elternzusammenkünfte bisher nur so, dass man notgedrungen nebeneinanderherexistierte. Mit der eigenen Gruppe wird gegluckt, klar, aber aktiv auf andere zugehen, die nicht der Gruppe angehören, das machen die wenigsten. Und grüßen? Joah, manchmal schon. Meistens aus Pflichtbewusstsein, manchmal auch nur, wenn es nicht anders geht. Wo war die Offenheit, die ich aus Studientagen kannte? Oder lag es an der Gegend, von der tatsächlich jeder Einheimische sagt, es sei für Neulinge ein extrem schweres Pflaster? Ich weiß es nicht, weiß nur, wie unwohl ich mich bei jeder Zusammenkunft fühlte, bis ich sie irgendwann ganz mied, wenn ich nur konnte.

Bei dem Waldorf-Fest hingegen war ich regelrecht positiv schockiert. Da wurde mir die Offenheit gespiegelt, mit der ich all die Jahre zuvor angeeckt war. Hier war sie nicht nur erwünscht, sondern normal. Jeder Erwachsene grüßte mich neugierig und nicht mit aufgesetzter, sondern echter Freundlichkeit und echtem Interesse. Mit vielen ergab sich spontan ein Gespräch und ähnlich wie bei den Kindern auch wurde uns von sehr vielen Erwachsenen sofort und spontan Hilfe für die „Eingewöhnung“ (und darüberhinaus) zugesagt.

Punkt 6: Die Schuluntersuchung. Angstbesetzt. Kam mir bekannt vor

Die Schuluntersuchung war das Einzige, was mich an die Regelschule erinnerte. Hier wurde offenbar Dienst nach Vorschrift gemacht. Es galt, einen Fragenkatalog abzuarbeiten. Was ich sehr schade fand, denn das hat immer so etwas von Bahnhofsmentalität. Da würde ich mir wünschen, dass die Ärzte mehr auf die Kinder eingehen, versuchen, sie aus der Reserve zu locken, ihre Interessen kennenzulernen und sie ernster zu nehmen. Schließlich geht es um die Kinder und nicht die Eltern, die dabei sind. Das lässt sich sicher trotz Fragenkatalog so regeln, dass sich das Kind bei der Untersuchung wohlfühlt.

Dennoch muss ich sagen, dass das Kind bei der Untersuchung dort immerhin etwas ernster genommen wurde als in der Regelschule. Damals durfte Maxi nicht mal in Ruhe überlegen, sondern musste schnell, schnell einfach ihre Aufgaben machen, man habe ja schließlich nicht den ganzen Tag Zeit. Und dann wurde ich sowohl von der Assistentin als auch von der Ärztin selbst angegangen wegen der Impferei. Wer nicht einfach blind und pauschal alle Impfungen vornehmen lässt, die die Pharmaindustrie sich ausgedacht hat, der wird als böse und unverantwortlich eingestuft. Da ist die gesellschaftliche Angst mal wieder extrem deutlich zu spüren. Ärgerlich für Eltern, die sich monatelang mit dem Thema beschäftigt haben und sich dann diesen ganzen Quatsch anhören müssen. Eine solche Diskussion blieb mir dieses Mal glücklicherweise erspart. Ob ich gegen das Impfen bin? Nö. Ich bin lediglich für durchdachte Entscheidungen, die aufgrund von Informiertheit getroffen werden, aber eben nicht aufgrund von Panikmache.

Stethoskop
Schuluntersuchungen: Sollten generell lockerer und entspannter werden. Und wenn man nur aus einem Stethoskop eine Brezel formt und damit herumkaspert … (Foto: Hush Naidoo, Unsplash)

Punkt 7: Der Probeunterricht. Genau richtig

Einfach mal so die Schule wechseln und auf die Waldorfschule gehen, das ist nicht. Da wird schon genau hingeschaut, denn es soll ja für alle Seiten passen. Und dieses Schulkonzept passt nicht zu jedem Kind. Um besser beurteilen zu können, ob es passt, gibt es an unserer Schule für neue Erstklässler einen Probetag. Für Kinder, die die Schule später wechseln, sogar eine ganze Probewoche.

Minis Probetag

Mini war diejenige, bei der die Frage war, ob sie gleich von Anfang an mit der Waldorfschule startet. Voller Aufregung betrat sie die Schule für ihre Probestunde. Die Art, wie die Verantwortliche (die mich sowohl optisch als auch von der Aura her an Jane Goodall erinnerte) meine Tochter dazu brachte, mit ihr zu gehen, hat mich sehr beeindruckt. Man merkte: Diese Frau wusste genau, was sie tat.

Leider müssen die Eltern draußen bleiben. Da saß ich also – und habe nur ab und an durchs Fenster die Lehrerin durch den Raum schweben sehen. Einmal kamen mir fast die Tränen vor Rührung, weil ich so deutlich die Liebe fühlen konnte, die von dieser Frau ausging, die offenbar gerade drinnen ein Gedicht aufsagte und dazu den Körper entsprechend dem Inhalt bewegte (ich sah sie gemütlich mit den Armen „flattern“).

Inhaltlich war ich dann aber doch verwundert, denn alles, was ich gefragt hätte, wenn ich an Stelle der Lehrerin gewesen wäre, wurde nicht gefragt. Kurz wurde gezählt, gemalt und der eigene Name geschrieben, aber ansonsten schien es überwiegend um sportliche Dinge zu gehen. Und das in unserer Familie, die sich mit allem beschäftigt – nur nicht mit Sport. Vom Trampolin, Fangenspielen und solchen Sachen mal abgesehen.

Demzufolge klappten manche Sachen natürlich nicht so gut. Balancieren? Ja, haben wir gemacht, aber Mini hielt immer meine Hand. Da musste sie das plötzlich ohne Hand machen, war aufgeregt und stürzte wohl immer wieder ab. Ein normaler Lehrer hätte an dieser Stelle vielleicht abgebrochen, aber „Jane“ sagte: „Mini, komm, versuch es noch ein letztes Mal. Ich weiß, dass du es schaffen kannst!“ Und sie schaffte es und war ganz stolz. 😀

Maxis Probewoche

Maxi hatte ja schon fast die komplette erste Klasse in der Regelschule hinter sich gebracht. Deshalb musste die Probewoche erst mal bewilligt werden. Das ging kurz vor knapp und die Begeisterung der Schulleitung hielt sich in Grenzen, was wohl öfter vorkommt. Verbieten kann die Regelschule es allerdings trotz allem Unmut nicht.

Maxi war von Anfang an sehr angetan von der Waldorfschule. Das Einzige, was sie verunsicherte, war das Wissen, dass sie ihre ganzen Schulfreunde zurücklassen musste. Und dann noch alleine in die neue Schule gehen, ohne zu wissen, ob es da jemanden geben würde, der sich um einen kümmert? Das ist ganz schön beunruhigend.

Maxis Waldorflehrerin schaffte es aber super, ihr die Ängste zu nehmen. Sanft, aber bestimmt regte sie die anderen Kinder dazu an, Maxi zu integrieren, was auch problemlos funktionierte. Schon am ersten Tag kam sie heim und sagte:

„Mama, ich hab mich schon entschieden. Ich möchte in diese Schule.“ Das mit den alten Freunden war schnell zweitrangig, zumal sie bereits zwei neue Freundinnen gefunden hatte.

Wie sie den Unterricht empfand? „Mama, die lernen gar nicht. Die spielen den ganzen Tag nur!“ Wenn das Lernen so spielerisch vonstatten geht, dass es die Kinder noch nicht mal merken, wie toll ist das denn? Ich habe übrigens den Unterricht teilweise beobachtet, sofern sich die Lehrer entschieden, ihn draußen zu machen. Da war z. B. die Französischlehrerin, die aufgrund eines Krankheitsfalls plötzlich zwei Klassen zusammennehmen musste, die logischerweise einen ganz anderen Wissensstand haben. Das, was sie selber später als improvisierten Unterricht bezeichnete, nahm ich wahr wie ein lange geprobtes Theaterstück: Alles lief rund, die Kinder hatten Spaß und sangen und spielten auf Französisch, während sie sich draußen an der frischen Luft bewegten.

Mein Gefühl deckte sich glücklicherweise von Anfang an mit dem meines Kindes. Aber ich fand es auch wichtig, Maxi zu versichern, dass das Ganze nicht allein die Entscheidung von uns Eltern war. Ich sagte ihr, ihre Meinung am Ende der Probewoche sei auch wichtig,  schon lange vor ihr ahnend, wie sie ausfallen würde. Nach dem letzten Probetag kam sie raus und sagte: „Mama, mir kommt es vor, als würde ich schon auf die neue Schule gehen. Ist das gut oder schlecht?“ Und damit war das Ganze von Seiten der gesamten Familie entschieden.

Es dauerte noch ein paar Tage, bis sich auch das Schulgremium mit dem Thema Aufnahme beschäftigen konnte und wir das Okay für beide Kinder bekamen.

Kinder im Unterricht in der Regelschule in Afrika
So nicht erlebt: Stillsitzen während der Probezeit in der Waldorfschule. Nein, die Kinder sind ganz oft in Bewegung (Foto: Doug Linstedt, Unsplash)

Punkt 8: Der erste Elternabend. Emotional und bedeutungsschwanger

Da mein Babysitter im letzten Moment abgesprungen war, hatte ich die Kinder beim ersten Elternabend dabei. Was aber offenbar niemanden störte. Zumindest hat niemand etwas gesagt.

Beeindruckt hat mich die Rede von einem der Lehrer aus dem Kollegium, denn darin klang die Tiefe, Intelligenz und Weitsicht durch, mit der ich mich sofort verbinden kann. Mein Gefühl, genau die richtige Schule gefunden zu haben, intensivierte sich. Das da waren hochgebildete, empathische Lehrer, die mit ganzem Herzen darauf aus waren, sanft, aber bestimmt das Beste aus jedem Kind herauszuholen.

Um mit dem Bild des besagten Lehrers zu sprechen: Wir alle, Eltern wie Schüler, sind Teil eines großen Orchesters, das die nächsten Jahre eng zusammenarbeiten wird, um gemeinsam etwas ganz Großes auf die Beine zu stellen, nämlich eigenständige, selbstbewusste, gebildete Kinder zu stärken, die ihre Empathie nie verstecken und das Hören auf ihre Intuition nie verlernen mussten.

Du hast die ersten beiden Teile verpasst? Kein Problem. Hier kannst du nachlesen, warum ich begann, an der Regelschule zu zweifeln, und hier habe ich schon mal vorgegriffen und berichte von der Einschulung auf der Waldorfschule.

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Gesichtsblind: Wenn du die eigene Freundin nicht mehr erkennst

Es war mein allererster richtiger „Job“: Auf einem Waldfest verkaufte ich als kleines Mädchen für unseren Verein Getränke. Vermutlich war ich noch nicht mal in der Schule, als ich „Limo, Cola, Wasser“ schreiend über diesen Platz voller Menschen lief.

Ein Mann kaufte für seine Familie bei mir ein. Er hatte aber kein Kleingeld und drückte mir deshalb einen 50-DM-Schein in die Hand. Den sollte ich wechseln lassen und dann das Restgeld zurückbringen. Das Problem: Obwohl ich mich so sehr bemühte, mir zu merken, wie der Mann aussieht, hatte ich sein Gesicht sofort wieder vergessen. Verzweifelt und mit Tränen in den Augen irrte ich durch die Reihen voller Bierbänke und Gesichter. Ich wollte dem Mann doch nicht sein Geld klauen! Wo war er nur?

Plötzlich entdeckte ich einen Tisch, an dem ganz viele Menschen fuchtelten und winkten. Sie deuteten auf einen Mann, der drei volle Flaschen hochhielt und auf seine Geldbörse deutete. Gott sei Dank, er hatte meine Panik erkannt und richtig reagiert!

Frau läuft in der Wüste
Verloren im (Wüsten-)Meer der Gesichter: Meine erste Erinnerung an Gesichtsblindheit (Foto: Katerina Radvanska, Unsplash)

Dieser Vorfall war ein Alptraum für mich, eins der Kindheitstraumata, das mich bis heute verfolgt. Aber erst jetzt, so viele Jahre später, ist mir klar geworden, was damals schon mein Problem war:

Diagnose: Gesichtsblindheit (Prosopagnosie)

Ich bin gesichtsblind. Prosopagnostikerin, um mal das Fachwort zu nennen. „Prosop“ ist das griechische Wort für Gesicht – und „Agnosie“ ist das Nichtkennen. Ich kann mir fremde und manchmal auch bekannte Gesichter nicht zuverlässig merken.

Ehrlich gesagt habe ich mir nie so wahnsinnig viele Gedanken darüber gemacht, weil ich im Laufe der Jahre Strategien entwickelt habe, um damit klarzukommen. Ich merke mir optische Auffälligkeiten, die mir helfen, die Person zu identifizieren. Wenn meine Nachbarin eine Frau mit kurzen, wasserstoffblonden Haaren ist, die immer mit pinkem Hosenanzug herumläuft, kein Problem. Aber wehe, ich treffe diese Person in einem Bergwerk, also mit Umhang und Helm auf dem Kopf, der die blonden Haare verdeckt. Dann habe ich keine Chance, sie zu erkennen, denn ich brauche die Menschen in ihrem gewohnten Umfeld, mit ihren gewohnten Identifikationsmerkmalen. Ansonsten: Möööp.

Wie äußert sich Gesichtsblindheit?

Prosopagnosie läuft als Krankheit, für die es keine Heilung gibt. Sie ist entweder angeboren – wie bei mir – oder wird im Laufe des Lebens erworben, zum Beispiel durch einen Unfall (Schlaganfall o. Ä.). Nichts Schlimmes, man kann gut damit leben. Aber peinlich ist es natürlich schon. Immer wieder.
Wenn du zum Beispiel interviewt wirst (wie ich vor kurzem), die Interviewpartnerin erzählt, wie sie dich kennengelernt hat – und du bis dato nicht wusstest, dass du sie schon jemals in deinem Leben gesehen hast.

Was mir auch öfter passiert: Ich grüße jemanden freundlich. Kurze Zeit später grüße ich eine andere Person ebenfalls freundlich – und wundere mich, dass sie so komisch reagiert. Daran erkenne ich dann: Scheiße, das muss die gleiche Person wie vorher gewesen sein, die aus welchem Grund auch immer plötzlich noch mal aus genau der gleichen Richtung gekommen ist wie vorher.

Diese Variante ist aber noch harmlos im Vergleich zu dem, was mir manchmal, zum Glück recht selten, passiert: Manchmal, da verschwimmen die Gesichter. Ich kann es nicht anders sagen. Natürlich passiert das nicht, wenn jemand direkt vor mir steht, dass ich denjenigen plötzlich verschwommen sehe. Es passiert eher, wenn ich jemanden von fern sehe.

Drei Affen: nicht hören, nicht sehen, nichts sprechen
Das da in der Mitte, das bin ich (Foto: Joao Tzanno, Unsplash)

Gesichtsblindheit: In der Light-Variante harmlos, aber peinlich

Eine peinliche Situation im Urlaub: Ich sehe einen alten Mann im Radler-Outfit das Frauenklo betreten und weise ihn freundlich darauf hin, dass das das Damen-WC ist, weil ich denke, er hat sich in der Tür geirrt. Dann beginnt die Person zu reden. Mit einer Frauenstimme. Ich schaue erneut hin und sehe: Natürlich ist das eine Frau, ist doch nicht zu übersehen. Aber da ich sie vorher nur verschwommen gesehen habe, hat mein Gehirn für mich die fehlenden, also die verschwommenen Teile ergänzt – und ist dabei leider zu einem falschen Schluss gekommen. Jetzt könnte man natürlich sagen: Sowas passiert allen mal. Ich kenne es ja auch aus eigener Erfahrung, denn als Kind hatte ich selbst kurze Haare und wurde öfter mal als „hübscher Bu“ betitelt. Passiert also auch anderen. Das mag sein. Aber sicher nicht die verschärfte Variante:

Ich lief ins Treppenhaus unserer Schule, um meine Tochter abzuholen. Aus dem Augenwinkel sah ich in einiger Entfernung eine alte Frau. Sie grüßte mich. Automatisch grüßte ich zurück – und merkte, wie die Person stutzte. Ich sah erneut hin, das Verschwommene war plötzlich weg, und ich erkannte, dass es keinesfalls eine alte Frau war, sondern eine junge, ausgesprochen hübsche Frau, nämlich eine Freundin von mir.

Das Verschwimmen, das habe ich zum Glück sehr selten, aber es gibt Gesichtsblinde, denen das öfter passiert.

Und was, wenn dir jemand was antut?

Als ich meinem Mann davon erzählt habe, dass jetzt für mich so vieles plötzlich viel mehr Sinn hat, jetzt, da ich weiß, was mein Problem ist, meinte er: „Das ist ja eigentlich verdammt gefährlich. Wenn dir jetzt jemand was antut, dann kannst du denjenigen hinterher gar nicht mehr zuverlässig erkennen!“

Dazu muss ich sagen: Doch, zum Glück kann ich das. Ich erinnere mich an eine sehr heftige Situation, in der das deutlich wurde: Als ich gerade frisch am Gymnasium war, hielt mir eines Tages plötzlich jemand auf dem Schulweg ein Messer an den Hals. Seitdem weiß ich, was Todesangst ist

Mehr als fünfundzwanzig Jahre später habe ich die Person durch „Zufall“ wiedergesehen. Ich hätte sie immer und überall wiedererkannt. Warum? Vielleicht, weil das Gehirn plötzlich anders funktioniert, wenn es auf den Lebensgefahr-Modus umschaltet? Vielleicht – und das ist meine Vermutung – hat es auch etwas mit Seelenverwandtschaft zu tun. Ich habe dazu ein Video gedreht:

https://youtube.com/watch?v=MV_7WCiGAfM%3Ffeature%3Doembed

Darin erkläre ich neben dem Verdacht mit der Seelenverwandtschaft noch ein bisschen mehr als hier im Artikel, wie ich die Welt sehe – und wen ich erkenne und wen nicht.

Warum ich so etwas Privates verrate?

Erst vor ein paar Tagen, nach dem Vorfall mit dem Interview, habe ich das Ganze gegoogelt. Ich hatte das vorher immer lässig als „Gesichts-Legasthenie“ abgetan, als schrulligen, blöden Charakterzug von mir. Dass das ein anerkanntes Krankheitsbild ist, wusste ich nicht.

Es erleichtert vieles. Schon allein, dass ich jetzt weiß, warum mir manchmal solche komischen Sachen passieren, das ist eine enorme Erleichterung. Im Netz findet man nur wenig über diese Krankheit, dabei sind je nachdem, wo man schaut, 2 bis 3 Prozent der Bevölkerung allein von der angeborenen Variante betroffen.

Ich gehe damit an die Öffentlichkeit, nicht nur, weil es für mich leichter wird, wenn die Menschen wissen, womit sie es zu tun haben. Sondern auch, um aufzuklären, um den Menschen da draußen zu sagen: Das nächste Mal, wenn ihr denkt, dass euch jemand ignoriert, dann hakt nach. Vielleicht sieht er euch tatsächlich nicht, weil er auch gesichtsblind ist.

Es hat nichts damit zu tun, dass wir jemanden uninteressant finden!

Was für Nicht-Betroffene auf jeden Fall wichtig ist zu wissen: Wenn wir euch nicht erkennen, hat das nichts damit zu tun, dass wir euch bei der vorherigen Begegnung uninteressant, hässlich oder auf sonst eine Weise als unwichtig eingestuft haben. Nein. Überhaupt nicht. Bei meinen Erfahrungen ist tatsächlich oft eher das Gegenteil der Fall: Menschen, die ich als besonders schön wahrnehme, diejenigen, mit denen ich mich gut unterhalten habe oder solche, in deren Gegenwart ich mich extrem wohlgefühlt habe, das sind gerade die, die ich nicht wiedererkenne. Und es tut mir immer so leid, weil ich sehe, was passiert: Ich sehe, wie sehr das die Menschen kränkt, was schlimm für mich ist, schließlich ist das absolut nicht meine Absicht. Ich weiß, wie es dann oft gedeutet wird: als Arroganz. Sandra steht ja jetzt in der Öffentlichkeit, da will sie mit unsereins nichts mehr zu tun haben. Das macht mich wiederum sehr traurig. Damit sind dann beide Seiten verletzt. Und so schließt sich der Kreis.

Frau, der jemand die Hände vor die Augen hält
Gesichtsblind: Harmlos, aber peinlich (Foto: Ryoji Iwata, Unsplash)

Ihr wurdet von jemandem nicht erkannt? Was tun?

Daher mein Appell an Nicht-Betroffene: Ihr Lieben, wenn ihr mich oder jemand anderen, trefft und merkt: Der verhält sich irgendwie komisch, so als würde er euch gar nicht kennen, dann macht einen Schritt auf ihn zu und helft ihm, euch einzuordnen. Wir sind euch sehr dankbar dafür.

Ihr seid selbst gesichtsblind? Eine Bitte!

Und mein Appell an andere Gesichtsblinde: Bitte, bitte, zeigt euch. Erzählt eure Geschichte, erzählt von euren peinlichen Momenten – oder von euren Krisensituationen, die ihr trotz Gesichtsblindheit gut gemeistert habt, denn dadurch macht ihr anderen Betroffenen Mut.

Nutzt dafür gerne den Hashtag #gesichtsblind. Einfach, damit wir sichtbarer werden. Damit mehr Menschen uns verstehen, anstatt uns durch Worte oder Gesten klarzumachen, wie peinlich wir sind. Wir sind nicht peinlich, nur anders. Besonders eben. So wie jeder andere auch.
Ich danke euch!

Nachtrag,12.9.18: Ein Arzt packt aus. 😀

Ich bin unglaublich berührt von all den Kommentaren und Nachrichten, die mich über die Social Media erreicht haben. Mit dem Thema hab ich offenbar einen Nerv getroffen. Von „Endlich sprichts mal jemand an!“ in Kombination mit unterhaltsamen eigenen Anekdoten über „Oh Gott, ich glaube, ich könnte das auch haben, danke für den Anstoß, da mal nachzurecherchieren“ bis hin zu Geständnissen über eigene  ich nenne es mal: soziale Einschränkungen   war alles dabei.

Sehr erstaunt hat mich auch das Geständnis eines Mannes, den ich mal beim Netzwerken kennengelernt habe. Und dieser Mann, Christof Heun-Letsch, ist zufällig Arzt und hat deshalb auch ein paar spannende Side-Infos zur Gesichtsblindheit parat. Ich darf sie euch an dieser Stelle stellvertretend für ihn verraten:

„Als Betroffener und Arzt und Psychosomatiker könnte ich euch, wenn ihr wollt, vielleicht einige Informationen geben, so z. B. die Darstellung, dass den 1% schwer Betroffenen auch 1% “Hyperrecognizer” gegenüberstehen, und den 4% leicht und mittel Betroffenen auch 4 % gute Gesichtserkenner, und dass 90% aller Menschen weder Prosopagnostiker noch Hyperrecognizer sind. Man spricht von einem “normal verteilten, dimensionalen und skalierbaren Merkmal”….. Es gibt also keine klare Schwelle von “normal” oder “gesund” zu krank. Es gibt Leute, die können es sehr gut, gut, mittelmäßig, schlecht und ganz schlecht …“

Und:

„Das mit dem “Verschwimmen” kann ich dir erklären: Das Gehirn sieht nie das, was das Auge sieht, es macht sich ein “Pattern” ein Muster, und die Details werden da nur drangehängt. Das Gehirn sieht immer nur einen Teil, auch beim Erkennen, und dann wird nicht das “gesehen”, was die Netzhaut abbildet, sondern das, was das Gehirn dazu abruft. Wir kenne das alle, spazieren im Dunkeln, dann sehen wir ein wildes Tier, einen Geist, sonstwas. Wir sehen das. Dann leuchten wir mit der Taschenlampe drauf: Es ist nur ein Ast! Und wenn wir die Lampe ausmachen, können wir das Tier nicht wieder sehen, weil das Gehirn den Pattern korrigiert hat.

Du siehst jemand aus den Augenwinkeln, und das Gehirn hängt an irgendeine Detailinformation ein falsches Pattern: eine alte Frau, ein männliches Gesicht …. Du meinst, du siehst das. Aber das Hirn sieht nie die Netzhautinformation, es sieht immer nur getriggerte Patterns. Immer. Und bei den Leuten mit den schlechten Pattern-Maschinen kommt es eben vor, dass nicht “kein Pattern möglich” erscheint, sondern auch ein falsches Pattern angehängt wird. Das ist also eigentlich das Gleiche wie das Nicht-Erkennen ….“

Spannend, oder?

Einfach ins kalte Wasser geworfen – Kita-„Eingewöhnung“ im Montessori-Kinderhaus in Kanada

Kanada. So weit weg von uns. Und doch gibt es dort viele Dinge und Konzepte, die uns bekannt vorkommen. So wie Kindergärten. Aber sind zum Beispiel Montessori-Kindergärten wirklich so, wie wir das Konzept aus Deutschland kennen? Ich freue mich, meine dritte Gastautorin begrüßen zu dürfen: Susan Höntzsch berichtet euch für #KigastartInternational von ihrer Eingewöhnung in Kanada. Vorhang auf für Susan:

Kanada: Neues Land, was tun?

Wenn Familien beruflich ins Ausland gehen, brauchen sie natürlich auch eine Betreuung für die Kinder. Je nach Land ist die Betreuungssituation unterschiedlich. Als meine Familie und ich nach Kanada gezogen sind, haben wir überraschend schnell einen Kita-Platz für unsere Tochter gefunden – allerdings in einer privaten Einrichtung. Plätze in öffentlichen Kindergärten werden erst ab 3,5 bis 4 Jahren vergeben. So lange wollten und konnten wir nicht warten, denn der Besuch des Kindergartens hat für die Integration der Kinder im Ausland eine große Bedeutung.

Bereits am zweiten Tag nach unserem Umzug nach Kanada besichtigten mein Mann und ich mit unserer Tochter das Montessori-Kinderhaus in Windsor. Die Lehr- und Erziehungsmethoden waren uns vertraut. Denn obwohl die deutsche Kita nicht nach dem Montessori-Prinzip operierte, waren sich beide Philosophien sehr ähnlich. Die Entscheidung fiel uns umso leichter, da sich unsere Tochter bereits beim Kennenlernen der Kita sehr wohl zu fühlen schien. Ein gutes Zeichen. Aufgrund von Platzmangel startete sie zunächst mit zwei halben Tagen pro Woche, nach den Sommerferien dann in „Vollzeit“.

Falsche bzw. andere Erwartungen

In der deutschen Kita war die Eingewöhnung nach dem Berliner Modell abgelaufen: Als meine Tochter 15 Monate alt war, ging ich mit ihr das erste Mal in die Kita und blieb anfangs bei ihr. Aber von Tag zu Tag konnte ich den Raum immer länger verlassen, bis sie schließlich „allein“ in der Kita blieb. Es war eine Bilderbuch-Eingewöhnung, meine Tochter hat nie geweint, sondern sich nach und nach an die Erzieherinnen und die Prozesse der Kita gewöhnt. Ein Tränchen verdrückt habe dann eher ich, als sie das erste Mal von sich aus ihre Erzieherin umarmt hat. Spätestens da wusste ich ganz sicher, dass sie sich in der Kita wohlfühlt.

Mit dieser Erfahrung im Hinterkopf begleitete ich also am offiziellen ersten Tag meine dreijährige Tochter in den kanadischen Gruppenraum und erntete fragende Blicke der verantwortlichen Erzieherin. Denn, so erklärte sie mir, hier werden die Kinder am ersten Tag einfach abgegeben. Ob sie zufrieden sind oder traurig, spielt dabei keine Rolle. Eltern bleiben nicht im Gruppenraum. Ich war sehr verdutzt und etwas verunsichert. Schließlich waren wir gerade erst vor zwei Wochen nach Kanada gezogen und nun sollte ich einfach gehen?

Vielleicht hätte ich mir mehr Gedanken über die Eingewöhnung machen sollen, doch aus irgendeinem Grund war ich davon ausgegangen, dass es ähnlich wie in der alten Kita ablaufen würde. Ich erläuterte der Erzieherin also die mir bekannte Art der Eingewöhnung und durfte, nachdem die Kitaleiterin zugestimmt hatte, meine Tochter an diesem ersten Tag begleiten. Doch das war eine Ausnahme.

Wenn das Mutterherz bricht

Eine klassische Eingewöhnung gibt es in unserer kanadischen Kita nicht. Die Philosophie ist, dass die Kinder ohne ihre Eltern starten. Es brach mir das Herz, als ich am nächsten Tag meine Tochter allein in der Kita zurücklassen musste. Denn sie wollte mich nicht gehen lassen, klammerte sich weinend an mir fest und wurde mir schließlich von der Erzieherin sanft aus dem Arm gezogen. Die Kitaleiterin begleitete mich aus dem Raum, tröstete mich und sagte mir, sie würden mich sofort zurückholen, wenn sich meine Tochter nicht beruhigen ließe oder sie traurig sei. Ich hatte mein Telefon die nächsten Stunden permanent im Blick, doch es blieb ruhig. Als ich meine Tochter schließlich abholte, rannte sie mir fröhlich in die Arme und erzählte, wie toll es gewesen sei.

Meine Tochter hatte vom ersten Tag an Freude in ihrer neuen Kita. Dennoch weinte sie zunächst jeden Morgen bei der Verabschiedung und klammerte sich fest. Irgendwann waren ihre Augen dann nur noch feucht, und ich sah an ihrem Blick, dass sie traurig war. Es dauerte etwa zwei Wochen, bis sie bei der Verabschiedung nicht mehr traurig aussah. Diese Art der „Eingewöhnung“ fiel mir nicht leicht. Doch ich wusste, dass sich meine Tochter schon nach 1 bis 2 Minuten fröhlich einem Spiel, einem Buch oder einer Zeichnung zuwenden würde. Deswegen war ich beruhigt. Die Erzieherinnen haben die traurigen Verabschiedungen gut begleitet. Wenn wir morgens ankamen, war sofort jemand an unserer Seite und hat meine Tochter in den Raum begleitet, getröstet oder auf den Arm genommen.

Geschafft. Dank guter Vorbereitung

Es war in der Anfangszeit von großem Vorteil, dass meine Tochter schon sehr gut Englisch verstand. In der deutschen Kita war sie bereits in diese Sprache eingetaucht, denn eine ihrer Erzieherinnen hatte über die gesamte Zeit hinweg ausschließlich Englisch mit allen Kindern, Erzieherinnen und Eltern gesprochen. Meine Tochter sprach zwar noch nicht viele Worte, aber sie verstand so gut wie alles. Das hat ihr den Start in der neuen Kita maßgeblich erleichtert.

Mittlerweile geht meine Tochter seit fast einem halben Jahr mit großer Freude in die neue Kita. Manchmal vergisst sie sogar, sich von mir zu verabschieden.

Susan Höntzsch ist Diplom-Psychologin, freie Autorin, Bloggerin, Fotografin und Mutter. Sie lebt mit ihrer Familie in Windsor, Ontario, Kanada. Auf ihrem Blog Karrierepfade geht es um um ihr Leben als Expat in Kanada ebenso wie um das Finden der eigenen Berufung. Ihr findet Susan außerdem auf Instagram (über ihre Erfahrungen als Expat schreibt sie hier und über Karrierepfade hier), Facebook und Twitter

Liebe Susan, ganz herzlichen Dank für deinen spannenden Beitrag. Bei den Bildern bekomme ich direkt Fernweh. 🙂

Zur Erinnerung: Mit #KigastartInternational wollen wir das Bewusstsein auf die gänzlich unterschiedlichen Eingewöhnungsmöglichkeiten in aller Welt lenken und hoffen, dass wir dadurch die eine oder andere zukünftige Eingewöhnung im In- und Ausland liebevoller gestalten können. Mehr zum Projekt hier.

Berlondon-Mama: Von 7 Eingewöhnungen nur 1 bedürfnisorientiert

Ich, Sandra, übergebe heute für meine Reihe #kigastartinternational mal ganz fix das Wort an Uta von BerlOndonmama. Und los gehts! 🙂

Sandra hat dazu aufgerufen, einmal davon zu berichten, wie die Kindergarteneingewöhnung in anderen Ländern aussieht, und da mache ich doch gerne mit. Ich habe dazu auch schon auf meinem Blog geschrieben, berichte aber hier gerne einmal in einer Zusammenfassung:

Wir haben nämlich einige „Eingewöhnungen“ hinter uns. Um genau zu sein, sind meine Kinder in sieben (!) verschiedene Kindergärten gegangen. Und wer jetzt glaubt, ich müsste ja mindestens 4 Kinder haben, der irrt. Es sind nämlich nur 2, die wir etwas „umhergezogen“ haben …

Die ersten beiden Kindergarteneingewöhnungen in Hong Kong

Wir haben einmal für 2 Jahre in Hong Kong gelebt. Also mein Mann war 2 Jahre da, meine 2010 geborene Große und ich waren zwischendurch immer mal für ein paar Wochen zu Hause in Berlin und netto vermutlich nur so 18 Monate in Hong Kong.

Für Kinder unter 2 Jahren gab es eigentlich kaum Kindergarten-Einrichtungen – zumindest nicht, wo wir lebten, so dass gar nicht zur Debatte stand, die Große schon so früh in den Kindergarten zu geben. Kurz vor ihrem zweiten Geburtstag hat sie einen Platz in einer „drop-off Playgroup“ bekommen: 2x die Woche für 2,5 Stunden. Diese Playgroup befand sich in einer kleinen Wohnung ohne Garten, war aber sehr liebevoll eingerichtet. Auch die Kindergärtnerin Miss Firoza und ihre Assistentin waren wirklich reizend!

Allerdings hieß es schon am ersten Playgroup-Tag: „Ihr dürft die ersten 5 Minuten mit im Raum bleiben, aber dann geht ihr bitte und kommt nach 90 Minuten die Kinder abholen”.

Die Große hat dort gleichzeitig mit ihrem thailändischen Freund angefangen und während seine Mama sich weniger Sorgen darüber gemacht hat, dass ihr Sohn heulen oder sich nicht wohlfühlen könnte, und sich stattdessen über die freie Zeit gefreut hat, war meine Freude etwas verhaltener und ich hatte es mir zur Sicherheit mit einem Buch bewaffnet im Hausflur gemütlich gemacht. Zum Glück hat es der Großen aber gut gefallen und sie schien mich gar nicht vermisst zu haben.

Ab dem zweiten Tag sollten die Kinder direkt die ganze Zeit alleine da bleiben. So weit hat das auch alles ganz gut geklappt, vor allem, wenn nicht ich, sondern unsere liebe philippinische Haushälterin sie dort abgegeben hat. Bei mir hat meine Tochter doch manchmal beim Verabschieden ein wenig Theater gemacht, war dann beim Abholen aber jeweils superhappy, weil die wirklich schöne Sachen mit den Kindern gemacht haben.

Mama-Bloggerin Uta von BerlOndon-Mama in Londoner Park
Kosmopolitin BerlOndon-Mama Uta

Irgendwann haben wir doch noch einen Platz in dem Montessori-Kindergarten angeboten bekommen, von dem uns so vorgeschwärmt worden war, und anstatt sie aus der anderen Spielgruppe rauszunehmen, haben wir die angebotenen Tage dort zusätzlich genutzt, so dass die Große dann mit 2,5 Jahren an 5 Tagen jeweils 2,5–3 Stunden in den Kindergarten ging. Im Montessori-Kindergarten das gleiche Spiel, was die „Eingewöhnung“ anging: Die Kinder wurden am ersten Tag direkt alleine abgegeben, basta!

Meiner Großen hat die Montessori-Philosophie allerdings nie wirklich gefallen. Ich glaube, ihr fehlten einfach die Puppen und die anderen „echten“ Spielsachen. Sie hat sich irgendwann geweigert, dort hinzugehen, und so haben wir sie wieder abgemeldet, konnten aber zeitgleich auch noch einen weiteren Tag in der anderen Playgroup ergattern, die sie wirklich liebte.

Lange Wochen in Berlin ganz ohne Kindergarten?

Wie erwähnt, waren wir zwischendurch immer wochenlang in Berlin. Und da ich nicht wollte, dass sie die Kindergartenroutine wieder verlernt, habe ich auch dort nach einer flexiblen Kindergartenlösung gesucht. Und bin letzten Endes auch fündig geworden! Es war wirklich nicht besonders einfach, weil natürlich fast alle öffentlichen Kindergärten in Berlin einen Kita-Gutschein sehen wollen. Und die privaten Kindergärten, die ich kontaktiert hatte, wollten niemanden für 5–6 Wochen.

Glücklicherweise war die „Toddler Group“ der Berlin-British-School flexibel genug und nahm uns wochenweise auf. Da konnte ich entweder 3 oder 6 Stunden am Tag buchen und auch entscheiden, wie viele Tage meine Tochter im Ganzen dort hingeht. Und der Kindergarten ist sogar ganz in der Nähe meiner Eltern, wo wir bei Berlinbesuchen immer wohnen. Das hat also alles perfekt gepasst!

Doch auch da dasselbe Bild: Ich durfte mal kurz mit in den Raum schauen, aber dann sollte ich mich schnell verabschieden und gehen. Vermutlich weil die Große das irgendwie schon gewöhnt war und weil sie am Anfang immer alles sehr spannend findet, war das auch in dem Fall kein Problem.

Erleichtert hat das Ganze natürlich auch, dass die Kindergarten-Gruppen damals in Hong Kong auf Englisch waren, so dass meine Tochter in der Berlin-British-School zumindest alles verstanden hat, auch wenn sie in der Zeit noch nicht viel auf Englisch antworten wollte. Die australische Kindergärtnerin in Berlin verstand aber auch gut Deutsch und als wir beim nächsten Elternbesuch die Toddler Group in Anspruch nahmen, war mittlerweile sogar eine Zweisprachigkeit vorgeschrieben und deshalb eine zweite, deutsche Erzieherin dort.

Umzug nach London und wieder ein neuer Kindergarten

Im Sommer 2013 ist meine kleine Tochter in Berlin geboren worden. Und auch da konnte die Große wieder in die Berlin-British-School gehen, was echt toll war. Kurz darauf sind wir dann nach London gezogen und weil die Große erst im Herbst 3 Jahre alt wurde, war sie zu jung, um direkt in den Kindergarten einer öffentlichen Schule gehen können. So mussten wir für ein Dreivierteljahr eine private Nursery finden. Gar nicht so einfach in London, weil die sehr ausgelastet sind. Und dazu auch noch sehr teuer.

Einige Schulkindergärten nehmen sogar unterjährig neue Kinder auf, wenn diese 3 Jahre alt geworden sind. Aber irgendwie habe ich das erst viel später erfahren und mich deshalb auch gar nicht danach erkundigt.

Und, wie ihr euch wohl denken könnt, dasselbe Bild in der privaten Nursery, die wir dann gefunden haben: Eine echte Eingewöhnung gab es nicht. Dieses Mal hat die Große es auch am Anfang nicht ganz so leicht mit der Integration gehabt, weil sich die Kinder der Gruppe überwiegend schon aus „Windeltagen“ kannten und ihr Englisch einfach noch nicht so perfekt war, dass sie leicht mit den Windelkumpels in Kontakt treten konnte.

Das Besondere an dieser privaten Nursery im Gegensatz zu vielen anderen war, dass man die Kinder auch halbtags abgeben konnte. Das ist definitiv eher die Ausnahme und ganze Tage, an denen man die Kinder ca. von 8:00 bis 18:00 Uhr abgeben kann, sind die Regel.

Eingewöhnung Kindergarten London Nursery
Kindergarten in London

Schulkindergarten mit Drei-Dreiviertel

Die meisten Schulen in UK haben eine angeschlossene Nursery. Dort gibt es 5 Mal die Woche in der Regel 3 Stunden dauernde „Sessions“: Eine am Morgen und eine ab Mittag bis zum Schulende der großen Kinder.

Bei den Schulkindergärten – zumindest in unserer Gegend – läuft die Eingewöhnung so, dass die Erzieher vorher das Kind ein Mal zu Hause besuchen. Sich vorstellen, das Kind und die Eltern / einen Elternteil kennenlernen und schon mal überprüfen, wie weit das Kind entwickelt ist.

Wenn es dann Anfang September losgeht mit dem Kindergarten, werden die Kinder meistens nach und nach hinzugenommen: Entweder am selben Tag im Stundentakt gestaffelt oder über mehrere Tage hinweg. Wobei dann darauf geachtet wird, dass die Kinder, die ganz neu im Kindergarten sind, also keine größeren Geschwister haben, als Allererstes anfangen, um sich in Ruhe und in einer kleineren Gruppe eingewöhnen zu können. Natürlich gilt auch hier wieder: Verabschieden und das Kind mit einem freundlichen, aber konsequenten „Schubs“ in die Gruppe schieben …

Hier hat sich die Große aber wieder sehr schnell eingelebt. Ich denke, dass das auch daran lag, dass nun erstmalig alle Kinder jeden Tag da waren und sich ein richtiges Zusammengehörigkeitsgefühl gebildet hat. In den privaten Kindergärten gehen die Kinder oft nur an gewissen Tagen hin. Die wenigsten Eltern wollen wohl eine private Nursery an den Tagen bezahlen, wenn die Mutter oder der Vater zu Hause ist.

Uta von BerlOndon-Mama erzählt von Kindergarteneingewöhnungen in London und Hong Kong
Für die kleine Tochter gab es in London den bedürfnisorientierten Weg

Die Eingewöhnung der Kleinen in die private Nursery

Als die Kleine knapp zwei Jahre alt war, habe ich wieder angefangen, vier Tage zu arbeiten. In der Zeit hatten wir unser erstes Au-Pair und schnell war klar, dass sie nicht vier Tage full-time für die Kleine da sein kann. So haben wir uns auch für sie nach einer privaten Nursery für 2 Tage umgeschaut und lediglich eine gefunden, in der keine halben Tage angeboten wurden.

Und siehe da: Es gibt auch noch eine andere Art von Eingewöhnung in London! Diese Nursery hat sehr viel Wert auf Bedürfnisorientierung gelegt: Obwohl die Kleine nur 2 Tage die Woche dort hingehen würde, durfte sie in den ersten 2–3 Wochen öfter kommen, um die Verweildauer alleine bzw. zunächst mit Au Pair in Sichtweite, dann außerhalb der Sichtweite, sehr langsam auszudehnen. Fast die gesamte Eingewöhnung hat das damalige Au Pair gemacht, was es insgesamt auch etwas erleichtert hat, weil die Kleine natürlich nicht so sehr an ihr hing wie an mir.

Ich bin sehr froh darüber gewesen, mit der Kleinen – mehr zufällig – in einem Kindergarten mit richtigem „Eingewöhnungprogramm“ gelandet zu sein, weil sie nämlich von der Persönlichkeit her die deutlich schüchternere der beiden ist. Mit ihr hätte ein „sofortiges Abschieben“ nämlich nie geklappt!

Als sie dann im Juli 3 geworden ist, ist sie im folgenden September auch in den Schulkindergarten gekommen. Auch hier gab es im Vorfeld wieder den Besuch der Erzieher zu Hause. Obwohl es keine echte Eingewöhnung gab, hat das in dem Fall trotz ihrer anfänglich immer vorhandenen Schüchternheit erstaunlich gut geklappt (natürlich gab es aber auch mal Tränen beim Verabschieden).

Das Gute war, dass sie einige Kinder in ihrer Gruppe hatte, die die jüngeren Geschwister der Freunde meiner Großen sind. Und so kannte sie zumindest schon einige Kinder. Und die Kindergärtnerin war auch noch ein wesentlicher Faktor, wieso es recht reibungslos mit der nicht-vorhandenen Eingewöhnung im Schulkindergarten geklappt hat: Die ist einfach sowas von toll gewesen!

Mittlerweile sind beide in der richtigen Schule angekommen und gerade die Kleine muss sich noch ganz schön umstellen, weil es von den 3 Stunden Schoolnursery zu 6,5 Stunden „Vorschule“ ein ganz schön großer Schritt ist.

Im Nachhinein muss ich sagen, hat das alles in allem zumindest für uns sehr gut geklappt. Vor allem auch, weil beide bei ihren Eingewöhnungen zufällig genau das vorgefunden haben, was sie brauchten (ein großes Glück für uns).

Wer sich solch eine abrupte Eingewöhnung à la „ins kalte Wasser stoßen“ für seine Kinder nicht vorstellen kann, sollte das in UK in der jeweiligen Einrichtung frühzeitig ansprechen. Ich kann mir vorstellen, dass es dann auch eine etwas „verträglichere“ Art der Eingewöhnung gibt.

Wenn ihr speziellere Fragen zu Kindergärten in London habt, hüpft gerne mal auf meinem Blog vorbei und hinterlasst einen Kommentar oder schreibt mir eine Nachricht. Ich freue mich immer, wenn ich helfen kann.

Eure Uta x

Wie der Name BerlOndon-Mama schon sagt, bloggt Uta über ihr Familienleben zwischen ihrer Heimat Berlin und ihrer Wahlheimat London. Wer ein bisschen interkulturelle Luft schnappen möchte, dem empfehle ich, mal bei Uta vorbeizuschauen. Dort gibt es neben Familien- und Auswanderungsgeschichten auch Tipps zum Englischlernen. Und das eine oder andere Bild, das Englandfans wie mir ein kleines „Hach, da wäre ich jetzt auch gerne!“ entlocken.

Herzlichen Dank, liebe Uta, für deinen tollen Beitrag zu #KigastartInternational.

Für alle weiteren Berichte zur Eingewöhnung aus aller Welt, bitte hier entlang.

Eingewöhnung in Mexiko: Kind abgeben und weg…

Ich hatte euch dazu aufgerufen, mir Beiträge von euren Erfahrungen mit der (bedürfnisorientierten?) Kindergarteneingewöhnung im Ausland zu schicken.

Ich freue mich sehr, euch heute die erste Gastautorin vorstellen zu können. Anke P. berichtet für euch brandaktuell von ihrem Aufenthalt mit Familie in Puebla, Mexiko:

Wir leben zurzeit in Mexiko und haben eine 3,5-jährige Tochter. Wir kamen hier in Mexiko an, als Lina gerade zwei Jahre alt geworden ist. Zu diesem Zeitpunkt war ich mit ihr noch zu Hause, da ja alles noch neu für uns war und ich sie so jung noch nicht in eine Betreuung geben wollte.

Mexikanischer Spielekreis: Ein sanfter, vielversprechender Start

Nach ein paar Wochen wurde ich auf einen privat geführten Spielekreis aufmerksam, an dem wir dann auch drei Mal die Woche teilnahmen. Die Leiterin war eine mexikanische Erzieherin und die Treffen fanden jede Woche bei einer anderen Spielkreis-Mama zu Hause statt. Insgesamt waren es 6 Kinder. Das war eine ganz tolle Gelegenheit, dass meine Tochter Kontakt zu anderen Kindern bekam und sich in einer häuslichen und behüteten Atmosphäre aufhielt. Die anderen Kinder wurden schnell zu Freunden und auch die Mamas haben sich allesamt prima verstanden.

Kindergarteneingewöhnung: Leichter mit deutschen Erzieherinnen?

Nach gut einem Jahr – die Kinder sind alle über drei Jahre alt gewesen – begann der Kindergarten. Wir meldeten Lina in einem deutsch geführten Kindergarten an, in dem auch immer eine der beiden Erzieherinnen deutschsprachig war. Denn nach einem Jahr Mexiko-Aufenthalt verstand Lina zwar etwas Spanisch, aber sie wollte es nicht sprechen.

Frau umarmt Lama in mexikanischer Berggegend
Mama Anke mit Lama (Foto: Anke P.)

Somit dachte ich, es wäre hilfreich, wenn jemand Deutsch sprechen würde. In ihrer Gruppe waren 24 Kinder, davon 4 Deutsche, und der Rest mexikanische Kinder. Die Erzieherinnen machten alle einen tollen Eindruck, jedoch war die Eingewöhnung recht hart: Hingehen, Kind abgeben, kurz verabschieden – und dann müssen die Mamas gehen. Puh!

Es war ein Reinfall … Meine Tochter weinte so bitterlich, dass ich dachte: Das tue ich meinem Kind nicht an, gerade nicht in der ersten Woche.

Ich sprach mit der Kindergartenleiterin, die mir dann „entgegenkam“, indem sie sagte, ich könne ja ein paar Minuten dabei bleiben. Aber ich merkte, dass meiner Tochter auch das nicht reichte. Eine neue Umgebung, neue Bezugspersonen, viele lebhafte, nicht deutschsprechende Kinder, das ist ganz schön viel für ein dreijähriges Kind.

Naturgewalten unterbrechen das Drama der Eingewöhnung

Ich blieb die erste Woche dann bei ihr, aber sobald ich mich verabschieden wollte, fing sie bitterlich an zu weinen. Die Erzieherinnen sagten immer „Das wird schon, nach ein paar Minuten wird sie sich schon beruhigen!“, aber wenn ich merke, meinem Kind geht es nicht gut, dann lasse ich es nicht weinend zurück. Somit nahm ich Lina dann immer wieder mit nach Hause.

Sie war glücklich und ich merkte, dass ich in diesem Moment das Richtige für mein Kind getan hatte. Eine Zwangspause stellte sich ein, nachdem unsere Wohngegend zweimal durch heftige Erdbeben erschüttert wurde und der Kindergarten jeweils eine Woche geschlossen war. Lina war bei mir zu Hause und glücklich.

Neustart im Kindergarten. Unter besonderen Bedingungen

Ich bereitete sie in der Zeit, als wir auf die Wiedereröffnung warteten, erneut auf den Beginn des Kindergartens vor und hatte zwischenzeitlich auch erneut mit der Leiterin gesprochen, um mich zu erkundigen, ob Lina nicht in eine Gruppe mit ihrer besten Freundin könne.

Das wurde genehmigt – und siehe da, es klappte besser: Meine Tochter ging mit ihrer Freundin morgens Hand in Hand in die Gruppe und war glücklich. Der Wechsel in die andere Gruppe ist jedoch nur gestattet worden, da wir bald wieder aus Mexiko ausreisen und es Lina die letzten Wochen hier noch so schön wie möglich haben soll.

Da denke ich mir aber auch wieder: Wären wir nun länger hier, was wäre dann? Hätte sie sich dann durchquälen müssen? Falls dies der Fall gewesen wäre, hätte ich sie auf jeden Fall noch eine Weile zu Hause gelassen. Diese Form der Eingewöhnung, „Kind hinbringen, abgeben und irgendwann wird es sich schon beruhigen“, ist fernab von meiner Vorstellung, ein Kind bedürfnisorientiert einzugewöhnen.

Der erste Bericht zur internationalen Eingewöhnung für #KitastartInternational
Eingewöhnung in Mexiko: wenig bedürfnisorientiert

Noch ein Beispiel: Der Alptraum mit dem Schwimmkurs

Hier in Mexiko ist es aber normal. Da werden die Kinder vermehrt schon sehr, sehr früh in eine Betreuung gegeben. Ein anderes Beispiel ist der Schwimmkurs, den wir nachmittags besuchen wollten. Aus Deutschland kennen wir es so, dass die Kleinkinder gemeinsam mit Mama oder Papa im Wasser sind. Hier war es so: Kind hinbringen, umziehen und ab ins Wasser zu einer Schwimmlehrerin (mit 2 Jahren!) und die Mama muss draußen hinter einer Glasfront warten.

Natürlich ging das gnadenlos schief und nach 20 Minuten (ich ärgere mich so sehr über mich, dass ich sie haben so lange weinen lassen, aber ich habe mich zu sehr von den anderen Mamas beeinflussen lassen – gut, Fehler macht jeder mal …) holte ich sie aus dem Wasser.

Wir sind nie mehr dort hin, denn jedes Mal, wenn wir an der Schwimmschule nur vorbeifuhren, sagte Lina: „Mama, da will ich nicht mehr hin, da habe ich so geweint.“

Mannomann, was habe ich meinem Kind angetan? Da merkte ich, was für Spuren das hinterlassen hat. Andere Kinder kommen sicherlich schneller und besser damit zurecht, wenn man sie von der Mama trennt, aber ob das unbedingt so gut ist? Meiner Meinung nach zumindest nicht, gerade wenn sie noch so klein sind.

Mexiko ist ein tolles Land, aber Bedürfnisorientierung: Fehlanzeige

Resümierend kann ich sagen: Hier in Mexiko gibt es keine bzw. kaum bedürfnisorientierte Eingewöhnung. Vielleicht liegt es eben daran, dass die Kinder es gewohnt sind, sehr früh schon von der Mama getrennt zu sein. Es gibt keine Elternzeit, die Mamas gehen rund 4 Wochen nach der Entbindung wieder arbeiten. Dann sind die Kinder entweder bei einem Familienmitglied (Omas, Tanten oder älteren Geschwistern) oder schon ganz früh in der Krippe. Und die Mamas, die nicht arbeiten gehen, haben in der Regel alle Nannys zu Hause, die sich mit dem Kind beschäftigen.

Wir deutschen Mamas schwimmen hier regelrecht gegen den Strom, da wir einfach Mamas sind und unsere Kinder zu Hause selbst erziehen. Auch auf den Spielplätzen (die, so muss ich sagen, hier alle wirklich toll sind) sieht man häufig die Nannys oder Muchachas mit den Kindern, selten die eigenen Mamas.

Es ist eine andere Welt hier, an die ich mich (was die Kindererziehung und -Betreuung betrifft) nur wenig angepasst habe. Lina geht die letzten Wochen, die wir hier noch verbringen, nur in den Kindergarten, wenn sie es wirklich möchte. Ansonsten bleibt sie zu Hause.

Grünland vor verschneitem Berg unter blaumem Himmel in Mexiko
Berglandschaft in Mexiko (Foto: Anke P.)

Im November sind wir wieder zurück in Deutschland und ich bin sehr gespannt, wie wir mit dem „Berliner Eingewöhnungsmodell“ zurechtkommen. Alles in allem ist Mexiko aber ein fantastisches Land, wir als Familie möchten keine Sekunde hier missen! Wir würden hier jederzeit wieder herkommen!

Tipps für Expats mit Kindergartenkindern in Mexiko

Ich habe Anke gefragt, wie sie sich insgesamt in Mexiko gefühlt hat, ob sie etwas über ihr Umfeld erzählen möchte und ob es etwas gibt, was sie anderen Familien, die nach Mexiko auswandern möchten, empfehlen kann. Hier kommt ihre Antwort:

Wir leben seit April 2016 hier und gehen im November in diesem Jahr wieder zurück nach Deutschland. Wir waren somit 1,5 Jahre hier! Neben dem ganzen Hin und Her mit dem Kindergarten ist Mexiko ein wahnsinnig kinderfreundliches Land – deutlich kinderfreundlicher als Deutschland. In fast allen Restaurants gibt es Kinderspielecken, es gibt unzählige Spielplätze, die Menschen sind niemals gestresst vom Kinderlärm oder wenn das Kind beim Einkaufen – sei es im Supermarkt oder in einem Modegeschäft – das Regal ausräumt. Wenn so etwas passiert, kommt ein freundliches und vor allem ehrliches Lächeln und es folgen beruhigende Worte, die übersetzt so etwas bedeuten wie: „Kein Problem, ich kümmere mich später darum, schauen Sie in Ruhe weiter!“

Mexiko ist ein serviceorientiertes Land, in dem die Kinder an erster Stelle stehen.

Wir leben in Puebla, einer Großstadt mit knapp 2 Mio. Einwohnern. Als Tipp für Familien, die nach Mexiko gehen oder es in Erwägung ziehen, hierher zu kommen, kann ich nur sagen: Es wird die richtige Entscheidung sein! Lediglich bei der Auswahl des Kindergartens würde ich es anders machen und Lina in einen Montessori-Kindergarten bringen. Die gibt es hier auch, nur wurde dieser (der bei uns in der Nähe ist) leider zu spät eröffnet.

Ein ganz herzliches Dankeschön an Anke P. für diesen unglaublich spannenden Bericht – und alles Gute für die Kindergarteneingewöhnung in Deutschland.

Liebe Anke, bitte lass dir eins gesagt sein: Du hast keinen Grund, dir Vorwürfe zu machen. Du hast in jedem Moment das Richtige getan – für genau diesen Moment. Ich bin mir sicher, wenn du es schaffst, unbefangen an das Thema Schwimmen heranzugehen, dann wird auch deine Tochter das Schwimmen lieben lernen. Und ganz davon abgesehen: Lina liebt dich von Herzen. Du bist für sie da. Mit deinen Stärken und deinen Schwächen, denn du bist ein Mensch. Ein toller Mensch, der seinen eigenen, bedürfnisorientierten Weg geht. Hand in Hand, in Liebe, gemeinsam mit deiner Tochter. Ich bin sicher, Lina gibt dir keine Schuld, sie hat es vermutlich nie getan. Jetzt ist es nur noch an dir, dir selbst zu vergeben!

Alles Liebe für euch und ein gutes Wiederankkommen in Deutschland.

Du hast auch etwas zum Thema internationale Eingewöhnung zu berichten? Dann schreib mir!

Umgang mit Kritik: Kunden zurückgewinnen

Schlechter Service verursacht fiese Kritik

Wer kennt das nicht: Man freut sich auf einen gemütlichen Abend in einem schönen Restaurant und wird bitter enttäuscht, weil das Essen schlecht ist, auf frischen Gläsern noch der Lippenstift der Vorgängerin klebt oder weil der Service schwer zu wünschen übrig lässt. Ich erinnere mich mit Schrecken an den Aufenthalt in einer Wanderhütte, die zwar laut Öffnungszeiten noch etwa 1-2 Stunden geöffnet hätte sein müssen, aber in der uns beim Betreten gleich barsch mitgeteilt wurde, wir bräuchten gar nicht auf die Speisekarte sehen, es gebe nichts mehr. Kurz nach uns kam eine ausgehungerte Familie mit zwei kleinen Kindern. Die Mutter flehte den Wirt an, ihr wenigstens ein trockenes Stück Brot zu geben – sie wurde abgewiesen.

Solche und ähnliche Erfahrungen haben Auswirkungen auf das betroffene Unternehmen. Weshalb? Weil die Mutter vermutlich sämtlichen ihrer Freundinnen von dem Vorfall berichtet und eindringlich vor der kinderunfreundlichen Location gewarnt hat. Der Mensch neigt Statistiken zufolge sieben Mal häufiger dazu, über negative Erfahrungen zu berichten und diese weiterzuverbreiten als zu erzählen, wenn er sich über etwas gefreut hat.

Online-Bewertungen beeinflussen die Kaufentscheidungen

Wer sich einmal richtig geärgert hat, meldet sich vielleicht sogar bei einem Bewertungsportal wie Restaurant-Kritik.de oder auch Yelp an und schreit seine schlimmen Erfahrungen mit Hilfe des Internet in die Welt hinaus.

Bestellt ihr gelegentlich bei Amazon? Wie entscheidet ihr euch für ein bestimmtes Produkt? Zufällig, indem ihr Bewertungen anderer Verbraucher lest, die für eure Entscheidung sogar wesentlich wichtiger sind als die Produktbeschreibungen des Herstellers? Dann verhaltet ihr euch ganz nach Trend. Immer mehr Verbraucher lassen sich bei der Auswahl ihrer Produkte vom Internet beeinflussen – und da ganz besonders von Gleichgesinnten.

Auch hier sind also die Social Media absolut auf dem Vormarsch. Was heißt das für uns Unternehmer/-innen? Wer mit dem Trend geht und die Kunden mitreden lässt, ist klar im Vorteil. Wer sich stur stellt, vielleicht sogar wertvolles Feedback bzw. Kritik ignoriert und damit negative Bewertungen riskiert, wird ganz schnell feststellen, dass schlechte Erfahrungen sich mit Dominoeffekt verbreiten können und es dann sehr schwer ist, den Ruf überhaupt noch zu retten.

Mein Tipp, der nicht nur für Menschen in Sprachberufen gilt

Deshalb kann ich nur immer wieder raten: Lasst eure Kunden mitreden, erkundigt euch, ob sie mit euch zufrieden waren, wenn ihr einen Auftrag abgeschlossen habt. Falls Kritik kommt, handelt entsprechend. Ist die Kritik nicht gerechtfertigt, widersprecht mit schlagkräftigen Argumenten, die für eure Kunden nachvollziehbar sind. Ist sie hingegen gerechtfertigt, tut alles, um eure Kunden zu besänftigen. Je nachdem, was passiert ist, möchtet ihr vielleicht einen Preisnachlass oder Gutschein für die nächste Bestellung anbieten, um dann sicherzustellen, dass, wenn der Kunde darauf zurückgreift, euch tunlichst kein weiterer Fehler unterläuft.

Noch besser: Schlechter Kritik vorbeugen

Auch vorbeugendes Reputation Management ist selbstverständlich möglich. Am besten ist es, den Kunden überhaupt keinen Anlass zu Kritik zu geben. Wenn ein Stammkunde euch den Rechnungsbetrag schon überwiesen hat, bevor ihr überhaupt mit der Arbeit anfangt, könnt ihr vielleicht zum Dank gelegentlich Skonto geben. Oder wenn eine Kundin ein einzelnes Sätzchen übersetzt haben möchte und euch darum bittet, ein Angebot zu erstellen, dann „schenkt“ ihr doch einfach die Übersetzung des einen Sätzchens. Sie wird sich freuen und euch weiterhin treu bleiben. Euch sind bei der Übersetzung einer Website ein paar Schnitzer in der Ausgangssprache aufgefallen? Vielleicht freut sich der Kunde darüber, wenn ihr es ihm freundlich mitteilt und engagiert euch womöglich sogar bei Gelegenheit als Lektor/-in?

Ein paar nette Beispiele wie Reputation Management betrieben werden sollte und wie besser nicht, findet ihr z. B. auf Wikipedia (Best Practice – Worst Practice).

Fest steht übrigens auch: Wenn ihr es schafft, einen unzufriedenen Kunden durch gutes Krisenmanagement zu besänftigen, dann habt ihr eine langfristige Kundenbindung geschaffen, die euch noch viel Freude bereiten wird, denn ihr könnt euch sicher sein: Der Kunde verbreitet keine negative Kritik, sondern engagiert sich vielmehr dafür, seine Zufriedenheit mit euch und eurem Unternehmen zu äußern. Auf dass euch das immer gelingen möge!

Insofern, als dass wie weil ich mich ärgere …

Ich habe mich entschlossen, gelegentlich Kurzeinträge zum Thema „Häufige Fehler in der deutschen Sprache“ zu machen. Heute soll es um „insofern“ gehen, da dieses Wörtchen (oder zumindest das darauf folgende) immer wieder Probleme bereitet, insofern möchte ich mich dieser Problematik kurz annehmen.

Insofern ist die regionale Verwendung häufig nicht die richtige …

Sowohl in meiner Heimat als auch in meiner Wahlheimat ist es durchaus üblich, Vergleiche mit „wie“ anzuschließen statt mit „als“. Da das fast jeder so macht, ist es manchmal wirklich schwierig, die richtige Variante beizubehalten. Ich hoffe allerdings sehr, dass meine Einbürgerung in die Pfalz nicht dazu führt, dass ich irgendwann selbst sage: „Ich fühle mich hier viel mehr zu Hause wie in Unterfranken.“

Ebenso falsch sind Formulierungen wie „Die Sorge um verseuchte Salatgurken halte ich für übertrieben, insofern dass die Menschen einfach unnötig verunsichert werden.“ Oder auch: „Die Dauersonne ist beunruhigend, insofern als dass die Ernte gefährdet ist.“ Gerne werden auch Sätze mit „insofern wie“ oder „insofern weil“ angeschlossen statt mit der einzig korrekten Variante „insofern als“. Manche Menschen verschlucken auch den Anschluss komplett (und ich meine nicht, wenn es gerechtfertigt ist, wie in „Ich möchte mich dazu lieber nicht äußern, insofern …“). Und ich warte dann sehnsüchtig auf das „als“, aber es kommt nie, denn vor lauter Schachtelsatzalarm wird vergessen, dass da noch etwas aussteht.

Und was ist mit den Kommas?

Übrigens: Ein Komma steht nur, wenn „insofern“ und „als“ nicht unmittelbar nacheinander folgen, wie in „Ich bin insofern gescheitert, als ich nur den zweiten Platz errungen habe.“ Andernfalls steht kein Komma.

Zum Thema …

Bei der Gelegenheit gleich noch ein Hinweis zu den drei aufeinanderfolgenden Punkten, denn das ist eine Sache, die auch von Sprachexperten häufig falsch gemacht wird: Lasse ich einen Teil eines Wortes aus, so schreibe ich die drei Punkte ohne Leerzeichen, wie in „Ver… noch mal!“ In allen anderen Fällen ist ein Leerzeichen nötig, z. B. dann, wenn mehrere Satzglieder fehlen ( „Ich wollte doch nur …“) oder der Leser sich seinen Teil denken soll, wie in: „Schauen wir mal, wie es sich entwickelt …“

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